Als in jungen Jahren an der Universität arbeitete, beobachtete ich erstmals einen Widerspruch zwischen dem, was landläufig als karrierefördernd hingestellt wurde, und der Tatsache, dass sich gerade das oft als Nachteil im beruflichen Weiterkommen herausstellte. 

Auslandserfahrung hilft bei der Karriere – oder?

Damals, als ich noch eine Laufbahn an der Universität anstrebte, hieß es, dass mehrmonatige oder gar mehrjährige Aufenthalte an ausländischen Universitäten der Karriere förderlich wären.

Tatsächlich gelang es einigen Kolleg:innen, im Ausland ein neues Forschungsgebiet zu entdecken, nach Hause mitzubringen, und sich darin zu profilieren. Viele andere aber, die für einige Zeit – manchmal unter hohem Aufwand mit der ganzen Familie – ins Ausland gezogen waren, erlebten nach ihrer Rückkehr eine unangenehme Überraschung: Kolleg:innen, die vor Ort geblieben waren, hatten sie in der Zwischenzeit auf dem Karriereweg überholt. Sie hatten, während die Konkurrenz weit weg war, die Zeit genutzt, um sich zu positionieren und an beruflichen Netzwerken zu schmieden. Der vorgebliche Karrierevorteil durch Auslandserfahrung wurde in vielen Fällen durch die Nachteile, die die längere Nichtanwesenheit mit sich brachte, konterkariert.

Heute mag sich dies aufgrund der engeren internationalen Vernetzung und der technischen Möglichkeiten, auch aus der Ferne präsent zu sein, ein wenig geändert haben. Dass jedoch gute berufliche Netzwerke die beste Voraussetzung für eine Karriere sind, ist eine unumstrittene Tatsache.

Es gibt noch viele weitere Karriere-Irrtümer, ein paar davon zähle ich im Folgenden auf:

Brav lernen, dann wird schon was aus dir!

Ich kenne eine blitzgescheite, hoch talentierte Frau, die, anstatt ihre intellektuellen und sozialen Fähigkeiten gewinnbringend zu nutzen, fortfährt, ein Diplom nach dem anderen zu sammeln. Ihre männlichen Kollegen gehen, während sie in einem Abendkurs sitzt und büffelt, mit dem Abteilungsleiter oder dem Chef auf ein Bier.

Sie ist nicht die Einzige, die meint, mit einem wachsenden Stapel an Zertifikaten Kompetenz beweisen zu müssen bzw., wenn man es psychologisch betrachtet, etwas „wert“ zu sein. So lobenswert es ist, sich auf seinem Gebiet ständig weiterzubilden, sind im Hinblick auf Karriereschritte dennoch jene im Vorteil, die sich ohne Papier hinstellen und selbstbewusst signalisieren: Ich kann das – und brauche keine Zertifikate, um es zu beweisen.

Viele Überstunden bringen dich weiter

Ähnlich ergeht es den braven Arbeitsbienen.

Ohne Zweifel ist überdurchschnittlicher Einsatz eine Voraussetzung, will man Karriere machen, und so wird man, ist man ehrgeizig und vorwärtsstrebend, auch um Überstunden, abends und manchmal auch am Wochenende oder gar im Urlaub, nicht herumkommen. Wer jedoch diese Überstunden allein im „stillen Kämmerchen“ absolviert damit nur ja die Arbeiten rechtzeitig fertig werden, wird wahrscheinlich vergeblich auf den Lohn der Mühe warten. Der Karriere dienlich ist ein solcher Einsatz nur, wenn man es versteht, viel Wind darum zu machen, sprich: die Gelegenheit nutzen, um Eigen-PR zu betreiben. Und sich nebenher zu überlegen, ob einen beim nächsten Mal nicht doch das Biertrinken mit dem Vorgesetzten weiterbringen würde und die Arbeit an jemand anderen zu delegieren.

Tun oder lieber stillhalten?

Von aufstrebenden Mitarbeiter:innen, zumal von Führungskräften, wird, so möchte man meinen, voller Einsatz erwartet. Führungskräfte sollen viel bewegen, sie sollen Neues initiieren und Mittel und Wege finden, wie die anstehenden Aufgaben effizienter erledigt werden können. Soweit die Theorie.

Dazu eine kleine Geschichte:

Einer meiner Vorgänger in der Vorstandsposition hat ein ebenso spektakuläres wie finanziell waghalsiges Projekt auf den Weg gebracht, das sich nicht entwickelt hat wie erwartet. Statt zu einer bahnbrechenden Innovation zu werden, verursachte es jahrelang Verluste, konnte aber seiner Natur nach auch nicht einfach eingestellt werden. Der Initiator des Projekts, eine charismatische Führungsfigur, verließ das Unternehmen fluchtartig und im Streit mit dem Aufsichtsrat und gilt seither den einen als der Beinahe-Totengräber der Firma, und den anderen als das verkannte Genie, dem nur ungünstige Umstände den Erfolg verwehrt haben.

Als ich ins Unternehmen eintrat, war von diesem Menschen noch fast täglich die Rede, obwohl er schon jahrelang nicht mehr da war. Von seinem unmittelbaren Nachfolger, der die Position während der vergangenen fünf Jahre innegehabt hatte, sprach hingegen niemand. Der hatte nämlich nur seinen Kernjob gemacht und weder eigene Spektakelprojekte ausgeheckt noch den Versuch unternommen, das heikle Projekt seines Vorgängers in eine neue, erfolgversprechende Richtung zu lenken. Er hatte im Unternehmen überhaupt keine Akzente gesetzt. Während man meinem umtriebigen Vor-Vorgänger auch nach Jahren noch wahlweise verbalen Schlamm hinterherwarf oder bewundernd nachtrauerte, verabschiedete man den, der unauffällig geblieben war, freundlich und mit einer hohen freiwilligen Abfindung in die wohlverdiente Pension.

In der Zeit, als ich meinen Posten antrat, war bei besagtem Projekt tatsächlich Feuer am Dach. Es musste dringend etwas geschehen. Da ich der Meinung war, dass es Aufgabe von Vorständen ist, die Dinge anzupacken, tat ich genau das. Das Ringen um den Turnaround war zäh und erforderte neben einer gewissen Waghalsigkeit sowie subtiler strategischer Planung auch zahllose mühsame und komplexe Interventionen.

Kleine Fehler und Rückschläge blieben nicht aus, und so manches Mal musste der Kurs geändert werden. Das Projekt verursachte mir und meinem Team viele schlaflose Nächte und noch mehr graue Haare, und das war noch nicht alles an Unbill. Von Anfang an wurden wir mit Unkenrufen bedacht und mit Prügeln, die man uns vor die Füße warf, zu behindern versucht. Für jeden noch so kleinen Fehler hagelte es harsche Kritik gepaart mit Schadenfreude. Erst als die Sache sich gut entwickelte, waren plötzlich genau jene, die zuvor nur gezweifelt, geunkt und sabotiert hatten, selbst die „Mütter“ bzw. „Väter“ des Erfolgs.

Im Nachhinein habe ich mich gefragt, ob es für mich nicht gescheiter gewesen wäre, mich einfach rauszuhalten. Ich war für die Fehler der Vergangenheit nicht verantwortlich. Ich hätte mich ebenso wenig in die Schlacht werfen brauchen wie mein unmittelbarer Vorgänger. Oder?

Tatsächlich scheinen Stillhalten und Nichtstun für einzelne Führungskräfte oft die bessere Wahl zu sein. Das hätte ich eigentlich schon anhand der Reaktionen begreifen können, als ich dem Aufsichtsrat die Schaffung einer neuen Abteilung vorschlug, die als Dienstleister für das ganze Unternehmen fungieren und dadurch eine Menge Kosten sparen sollte.

Als ich die Vorteile der neuen Abteilung in einer Sitzung auflistete und einen Business Plan, den ich gemeinsam mit einem technischen Mitarbeiter erstellt hatte, präsentierte, starrten mich alle ungläubig an. Niemand teilte meinen Enthusiasmus, im Gegenteil, die Gesichter der meisten Anwesenden zeigten pure Skepsis. Die Entscheidung wurde vertagt.

Am nächsten Tag warf mir der Aufsichtsratsvorsitzende unter vier Augen an den Kopf, dass ich mich mit der neuen Abteilung ja nur profilieren und mir ein Zusatzeinkommen schaffen wolle. Als es nun an mir ist, ihn ungläubig anzustarren, lenkt er ein und meint väterlich: Sei doch nicht so naiv. Wenn es schiefgeht, ist es allein deine Schuld. (Heute gibt es diese neue Abteilung, doch ihr Erfolg wird mit mir nicht mehr in Zusammenhang gebracht.)

Warum um alles in der Welt tust du dir das an? fragt mich mit ähnlichem Misstrauen ein Vorstandskollege als ich ein Gesundheitsprogramm für die Mitarbeiter:innen initiieren will, und meint, es sei definitiv besser, alles so zu belassen wie es ist. Es würde nur Unruhe in die Firma bringen, und danken würde es uns niemand.

In die Nesseln gesetzt habe ich mich auch, als ich einen Geschäftspartner bitte, einen seiner führenden Mitarbeiter, dessen Verhalten sich für die Geschäfte bei einem gemeinsamen Projekt störend auswirkt, an die Kandare zu nehmen. Ich tue dies im Einverständnis mit meinen beiden Vorstandskollegen, die mir versichern, wie froh sie über meine Initiative sind, doch die Hexe, die einen Kollegen bei dessen Chef anschwärzt, bin am Ende ich. Ähnlich läuft es, als ich nach einer der jährlichen Branchenveranstaltungen den Fragebogen ehrlich ausfülle und bemängle, dass drei Tage lang keine Frauen auf den Podien vertreten waren. Was hast du für eine Furie im Vorstand? wurde einer meiner Vorstandskollegen gefragt, der nicht an sich hielt, mir dies sogleich genüsslich zu berichten.

Wer nichts tut, kann nicht viel falsch machen

Was immer man aus diesen Geschichten für Schlüsse zieht, eines sollte man wissen: Wer nichts tut, kann auch nicht viel falsch machen. Denjenigen, die das Tun wählen und gestalten möchten, weht sehr oft ein rauer Wind entgegen. Passive Menschen hingegen werden in der Regel auch für Fehlentwicklungen, die passieren, nicht zur Rechenschaft gezogen – es trifft immer nur diejenigen, die aktiv sind und agieren. Man kann mit diskreter Zurückhaltung, auch wenn sie mit krasser Entscheidungsschwäche einhergeht, in vielen Bereichen eine, wenn schon nicht glänzende, so doch lukrative Karriere machen. In die Geschichte geht man mit dem Stillhalten und Durchlavieren nicht ein, aber man hat wahrscheinlich ein bequemeres Leben und verdient sein Geld viel leichter als die vielgepriesenen „Menschen der Tat“, denen zwar mitunter große Erfolge beschieden sind, die aber immer Gefahr laufen, spektakulär zu scheitern. Ein weitaus mühevolleres Berufsleben haben sie allemal – wenn auch wahrscheinlich ein interessanteres.

Dass erfolgreiches Management immer mit „Tun“ gleichzusetzen ist, ist also – zumindest im Hinblick auf die individuelle Karriere – ein Mythos.

Widersprüche zwischen Mission und Verhalten

Ein weit verbreiteter Irrtum ist es auch, zu meinen, dass Organisationen oder Unternehmen mit einem sozialen oder gesellschaftspolitischen Auftrag selbst auch immer sozial bzw. im Sinne ihrer Mission handeln. Alle, die in einer NGO, einer Interessenvertretung oder einer politischen Vorfeldorganisation tätig sind, können wahrscheinlich von dem Widerspruch zwischen Mission nach außen und tatsächlichen Verhältnissen im Inneren ein Lied singen. So wirft eine Gewerkschaftszentrale, die als Interessenvertretung jedem Mitglied im Fall einer Kündigung oder Entlassung rechtliche Unterstützung gewährt, selbst durchaus Mitarbeiter:innen hinaus, wenn diese den Leistungserfordernissen nicht (mehr) entsprechen. Auch eine soziale NGO, in ihrem Tun der Menschlichkeit verpflichtet, muss ebenfalls manchmal Mitarbeiter:innen „abbauen“, wenn etwa Spendengelder ausbleiben und es finanziell eng wird.

Eine Interessenvereinigung, die sich auf gesellschaftspolitischer Ebene für Mitsprache und Mitgestaltung auf allen Ebenen einsetzt, übt sich mitunter in ihrem Inneren in strenger Hierarchie und autoritärem Gehabe.

Dies gilt generell oft für propagierte Mitbestimmung am Arbeitsplatz. Besonders kleine Unternehmen brüsten sich oft damit, flache oder gar keine Hierarchien zu haben. Alle Mitarbeiter:innen sind untereinander und mit den Chef:innen per Du, und Gleichberechtigung wird großgeschrieben. Umso enttäuschender dann, wenn es sich, meist in einer heiklen Situation, herausstellt, dass es mit der Mitbestimmung doch nicht so weit her ist und plötzlich ganz brutal die realen Machtverhältnisse hervorgekehrt werden.

Ich habe einmal in einem Institut gearbeitet, das Gesundheitsmaßnahmen für andere Unternehmen konzipierte, und dabei höchst sensibel vorging, während wir selbst alles andere als gesunde Arbeitsbedingungen hatten – viel Stress, geringe Bezahlung, und kaum Platz, sich im Büro auch nur umzudrehen. Solche Beispiele gibt es viele, und sie sind in den seltensten Fällen dem bösen Willen der verantwortlichen Akteur:innen geschuldet, sondern vielmehr der Tatsache, dass sich auch solche Organisationen am Markt bewegen und sich nach dessen Gesetzen richten müssen. Der Widerspruch wird oft nicht erkannt und tut deshalb besonders weh.

Entscheidungen immer sachlich und im Sinne des Unternehmens?

Der nächste Irrtum ist, dass es im Geschäftsleben immer sachlich zugehe und für alle Beteiligten das gute Ergebnis für das Unternehmen im Vordergrund stünde. Ja, es geht schon immer um eine Sache, aber nicht jedes Mal um jene, die auf der Tagesordnung steht. Nur allzu oft wird in Verhandlungen ein sachliches Thema vorgeschoben um persönliche Interessen, die Macht oder das Ego betreffend, durchzusetzen oder aber strategisch zu verbergen. Man kann dies in so gut wie jedem Business-Meeting beobachten, wenn man die Verhältnisse ein bisschen kennt.

Karriere-Mythen durchschauen

Es gibt, abhängig von Branche oder gesellschaftlichem Teilbereich, noch etliche andere Karriere-Mythen, die man in der Praxis möglichst rasch durchschauen lernen sollte, um nicht immer wieder mit dem Kopf an eine imaginäre Wand zu rennen, die Frust erzeugt und den Karriereweg bremst. 

Im Übrigen sollte sich jedoch niemand davon abhalten lassen, Arbeits- und Lebenserfahrung im Ausland zu sammeln, sich weiterzubilden oder innerhalb des Unternehmens die Initiative zu ergreifen, wenn es notwendig und angebracht ist. Aber um sich persönliche Enttäuschungen zu ersparen ist es ratsam zu wissen, worauf man sich gegebenenfalls einlässt. Erwartungen sind am besten so realistisch wie möglich zu halten. Das Geschäftsleben ist kein Kindergeburtstag, sondern ein Schlachtfeld, wo die schönen Worte nicht immer das bedeuten, was sie vorgeben. Daran sollte man sich um seines eigenen Seelenheiles willen immer wieder mal erinnern.