Wie jede Gemeinschaft entwickeln auch Unternehmen ihre eigene kollektive Atmosphäre, die durch alles, was in der Firma im Laufe der Zeit an Positiven und Negativem passiert, entsteht und durch bewusste oder unbewusste Erinnerung daran am Leben erhalten wird.
Stimmungen bewegen täglich Milliarden
Wer meint, dass kollektive Stimmungslagen im Wirtschaftsleben nicht existieren oder aber keine Rolle spielen, der blicke nur mal auf Teile der Werbewirtschaft und auf die Aktienmärkte. So manche Werbebotschaft führt zu weltweiten Verkaufshypes von Produkten, die an sich nutzlos sind, doch von einer großen Anzahl von Menschen, die „in“ sein und „dazugehören“ wollen, als Must-Haves angesehen werden. Und auf allen Aktienmärkten dieser Welt bestimmen psychologische Faktoren ganz handfest das wirtschaftliche Geschehen und bewegen jeden Tag viele Milliarden.
Kollektive Stimmungslagen steuern das Verhalten
Und nicht nur Geld wird durch Stimmungen bewegt. Es gibt langfristige Untersuchungen, die belegen, dass gesellschaftliche Trends in Mode, Musik oder Kunst mit den Schwankungen am Aktienmarkt korrelieren, und sich verändern, je nachdem, ob die Stimmung optimistisch oder pessimistisch ist. Über das überraschend schlechte Abschneiden der deutschen Fußballnationalmannschaft bei einer der letzten Weltmeisterschaften wurde viel gerätselt, bis sich herausstellte, dass ein Skandal um einen Spieler im Vorfeld des Turniers, den man schon ausgeräumt glaubte, eine fatale psychologische Wirkung auf das ganze Team gehabt hatte. Es gibt Nationen, bei denen ein uraltes Trauma das kollektive Selbstverständnis des Volkes und dessen Einstellungen und Handlungen bis in die Gegenwart beeinflusst. Und so weiter.
Der Schamane
Ein kleiner Verlag, der neue Büroräumlichkeiten bezog, fasste den Beschluss, vor dem Einzug die Büroräumlichkeiten energetisch reinigen zu lassen. Man engagierte einen peruanischen Schamanen. Der war nie zuvor in dem Gebäude gewesen, war der deutschen Sprache nicht mächtig, und kannte niemanden von der Führungsmannschaft oder der Belegschaft persönlich. Schweigend ging er mit den beiden Geschäftsführern durch die Stockwerke des Bürohauses. Danach konfrontierte er sie mit seinen Befunden. Die beiden Geschäftsführer staunten nicht schlecht, als er ihnen punktgenau sagte, wo das Büroklima freundlich und wohlwollend war, und wo er hingegen Spannungen fühlte. Wie nur hatte er das so genau erspüren können?
Wahrscheinlich ist gar nicht so geheimnisvoll, was der Schamane da wahrgenommen hat. Wenn wir ein Zimmer betreten, in dem kurz zuvor heftig gestritten wurde, bemerken nicht nur die Sensibelsten unter uns die „dicke Luft“, die dann herrscht. Ich persönlich habe einmal ein lukratives Jobangebot abgelehnt, nachdem ich einen Rundgang durch den Betrieb gemacht hatte, in dessen Räumlichkeiten die Luft abgestanden und rauchgeschwängert war, viele Mitarbeiter:innen mit gebeugtem Rücken vor ihren Schreibtischen saßen, gespannt aufsahen und sich kaum ein Lächeln abringen konnten als ich sie begrüßte. Über der ganzen Firma lagen eine unbestimmte Schwere und eine Düsternis, die mir buchstäblich den Atem beschnitt, sodass ich nur noch den Wunsch verspürte, so schnell wie möglich wegzukommen.
Mitarbeiter:innen gehen – die Atmosphäre bleibt
In Unternehmen beobachtet man immer wieder Vorgänge, die rätselhaft bleiben und keinen rationalen Hintergrund zu haben scheinen. Ich habe einmal beobachtet, dass in einer Abteilung, deren Leiter einer korrupten Tat überführt und fristlos entlassen worden war, im Laufe des darauffolgenden Jahres acht von zehn Mitarbeiter:innen selbst ihren guten Job kündigten – obwohl sie in den Fall überhaupt nicht involviert gewesen waren. In einem anderen Unternehmen, wo eine Führungskraft wegen einer Verfehlung abgesetzt wurde, geriet der Nachfolger ins Visier der halben Belegschaft. Er, der von außen kam, wurde mit Konflikten konfrontiert, die mit ihm nicht das Geringste zu tun hatten. In einem anderen Büro ist ein Mitarbeiter im Pausenraum an einem Herzinfarkt gestorben. Niemand hat seither den Pausenraum betreten. In einer Firma, die Jahrzehnte lang von einem autoritären, toxischen Chef geführt worden war, herrschten noch zwanzig Jahre nach dessen Abgang trotz einer mittlerweile kollegial agierenden Führungskraft immer noch viel Angst und Schrecken. Und so weiter, und so fort, der Beispiele ließen sich noch viele weitere finden.
Auch „gute Geister“ bleiben
Sogar wenn jemand das Unternehmen im Guten verlässt – und insbesondere, wenn diese Person eine Schlüsselrolle eingenommen hat und beliebt war – brauchen die Zurückbleibenden manchmal etwas Nachhilfe, um den „Geist“ dieser Person ziehen zu lassen. Ich habe das bei einer Kollegin erlebt, an deren Abwesenheit wir uns auch nach eineinhalb Jahren noch nicht gewöhnt hatten. Sie fehlte an allen Ecken und Enden. In einer Organisationsentwicklungseinheit merkte der Trainer an, dass er die Gegenwart dieser Frau, die er persönlich nie kennengelernt hatte, noch immer deutlich spüre. Diese Tatsache halte die weitere Entwicklung des Teams auf, warnte er und schlug ein Ritual vor: Man möge diese Ex-Mitarbeiterin bitten, noch einmal vorbeizukommen und ihre Kontaktdaten, die sie mit Kreide an eine Tafel geschrieben hatte, vor aller Augen zu löschen. Und so geschah es. Es gab noch einen kleinen Protest von einem der Mitarbeiter, der an der Erinnerung festhalten wollte, aber danach konnte das Team in Ruhe weitermachen.
Augen auf fürs Unsichtbare
Während man in Politik und Mannschaftssport psychologischen Stimmungen eher ihren Platz einräumt, wird in Unternehmen die Tragweite solcher Phänomene oft nicht erkannt. Gerade im Geschäftsleben ist man versucht, die Erinnerung an unangenehme und schockierende Ereignisse unter den Tisch zu kehren, den Mantel des Schweigens über sie zu breiten, und mit business as usual fortzufahren.
Die Kausalzusammenhänge liegen nicht immer deutlich sichtbar vor Augen, doch hat man seinen Blick einmal derartige Phänomene geschärft, beginnt man sie zu wahrzunehmen, auch wenn sie nicht körperlich greifbar sind.
Besteht keine Gelegenheit, verstörende Vorkommnisse zu besprechen und angemessen aufzuarbeiten, schaffen sich, genau wie im privaten Dasein, Verunsicherung und Unmut der Menschen auf unkontrollierbare Weise ein Ventil und bedrücken das Klima im Unternehmen auf Jahre hinaus.
Was kann man tun, um ein kollektives Trauma unter der Belegschaft zu bearbeiten?
Das Wichtigste ist, das Phänomen überhaupt zu erkennen und ihm gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Ist etwas Ungewöhnliches und Verunsicherndes passiert, sollte man sofort etwas tun – was nicht so schwierig ist, da es sowohl für die Diagnose als auch für Unterstützungsmaßnahmen professionelle Hilfsangebote gibt. Im Fall des entlassenen Abteilungsleiters hätte man den betroffenen Mitarbeiter:innen zum Beispiel ein paar Coaching-Einheiten bieten können, um ihnen Gelegenheit zu geben, über das Geschehene zu sprechen und ihre Gefühle dazu zum Ausdruck zu bringen. Im Fall der überraschenden Absetzung einer Führungskraft könnte man der Belastung, die dieser konfliktreiche Abgang für die Belegschaft bedeutet, Rechnung tragen und ebenfalls durch qualifizierte Gespräche dafür sorgen, dass nicht der Nachfolger unbewusst mit Projektionen überhäuft wird. Einen Raum, in dem jemand gestorben ist, kann man sich durch ein passendes Ritual ins Leben zurückholen. Eine grundlegende Veränderung einer ehemals toxischen Firmenkultur muss, wenn sie sich zum Guten wenden soll, lange Zeit immer wieder kommuniziert werden.
Gesten und Rituale helfen
Ich habe selbst einmal, auf Anraten meiner Frau Coach, eine rituelle „Reinigung“ einer Abteilung versucht, und zu meiner Überraschung war sie trotz ihrer Einfachheit tatsächlich erfolgreich. Damals war die Stimmung in der Belegschaft nach dem unrühmlichen Abgang einer anderen Führungskraft von Verunsicherung und Aggression geprägt. Ich führte daraufhin mit allen Mitarbeiterinnen (es waren ca. 15) einzeln Gespräche, die ich in einen harmonischen Rahmen setzte. Es war Vorweihnachtszeit, und so standen eine flackernde Kerze und hausgebackene Weihnachtskekse auf dem Tisch. Waren die ersten Gesprächspartner:innen noch unsicher und misstrauisch (auch weil in diesem Unternehmen Mitarbeitergespräche noch nicht üblich waren), hellte sich am Ende die Stimmung spürbar auf. Die schweren, grauen Schleier, die über den Köpfen gehangen waren, hatten sich am Ende wie durch Zauberhand gelüftet.
Man muss kein Zauberer und keine Schamanin sein, um sich um solche Dinge zu kümmern. Aufmerksamkeit und ein wenig Anleihe an traditionellen menschlichen Ritualen reichen aus um auch der spirituellen Dimension des Berufs- und Geschäftslebens auch ein wenig Rechnung zu tragen. Dabei geht es durchaus auch um Alltagsrituale wie zum Beispiel das Präsenzritual eines Chefs, der täglich durch seine Abteilungen geht und dort die Leiter:innen mit Handschlag begrüßt, oder die Tradition, Firmenjubiläen auf eine bestimmte Weise gemeinsam zu begehen, oder aber der Ablauf all der kleinen oder größeren Festlichkeiten im Lauf des Jahres, vom kleinen Geburtstagsumtrunk in der Abteilung bis zum großen Firmenfest mit Hunderten von Gästen.
Für Spirituelles braucht es Mut
Obwohl wir alle die Kraft von Ritualen, Schwingungen und spirituellen Phänomenen bei entsprechender Aufmerksamkeit erfahren können, ist es im Geschäftsleben unserer westlichen Kultur dennoch mutig, diese Dimension explizit anzusprechen. Meist gibt es in Unternehmen nicht allzu viele Personen, die bereit sind, psychologische und spirituelle Zusammenhänge als relevanten Faktor im Alltagsgeschehen anzuerkennen – insbesondere nicht auf der Führungsebene, wo ja vorwiegend die „Macher:innen“ sitzen, die mit „Esoterik“ nichts zu tun haben wollen.
Dabei geht es aber nicht um Esoterik, sondern um ewig gültige Gesetze der menschlichen Natur und des menschlichen Zusammenlebens, deren Beachtung in anderen Kulturen noch selbstverständlich ist. Man denke nur an Feng Shui, dessen Wirkungen in fernöstlichen Ländern kein noch so gestandener Business-Mensch leugnen würde, und das bis heute angewendet wird, um die geeigneten Rahmenbedingungen für florierende Geschäfte herzustellen.
Die „Heiler:innen“ in der Firma
Jene, die es sich, bewusst oder unbewusst, zur Aufgabe machen, eine belastete Atmosphäre in der Firma zu heilen – nicht zuletzt, weil sie selbst am meisten darunter leiden – finden dennoch oft schwer Verbündete. Und so leisten sie oft unsichtbare und unbedankte Beziehungsarbeit hinter den Kulissen, bluten manchmal dabei aus, und müssen erleben, dass ihr Beitrag erst wahrgenommen und gewürdigt wird, wenn sie die Firma verlassen haben, weil man erst dann spürt, welche bedeutende Rolle sie eingenommen und was sie geleistet haben. Undankbar ist der „Job“ als Heilerin aber auch deshalb, weil die Früchte der mühevollen Arbeit von Trampeltieren unter den Vorgesetzten jederzeit zunichte gemacht werden können. All jene, die schon in einer solchen Situation waren, werden genau wissen, wovon ich rede.
Ich persönlich bin davon überzeugt, dass man der spirituellen Komponente des geschäftlichen und beruflichen Geschehens in Zukunft mehr Aufmerksamkeit wird schenken müssen. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit – sozialen wie umweltrelevanten – Nachhaltigkeitszielen wird es nämlich gar nicht anders gehen.