Zum Thema Führung gibt es viele Fragen und viel zu sagen. Wie schlüpft man in die Rolle als Führungskraft und wie verhält man sich darin? Worin besteht „Führung“? Was tut eine Führungskraft den ganzen Tag? Was gehört zu ihren Aufgaben und was nicht? Wo lernt man Führen? Und so weiter.

Zahlreiche Bücher ranken sich um die Thematik, und es werden noch viele weitere geschrieben werden. Angebote in Literatur und im Seminarwesen befassen sich nicht nur mit betriebswirtschaftlichen Aspekten, sondern zunehmend mit humanistischen und spirituellen Themen im Zusammenhang mit Führung. Es wäre vermessen, hier eine Auswahl zu treffen und der Leserschaft vorzuschlagen. Daher verweise ich pauschal auf den Fachbuchhandel bzw. aufs Internet, wo sich die Seminaranbieter:innen präsentieren. Oder man höre sich in der Szene um und setze auf persönliche Empfehlungen.

Ich werde wie immer von meinen eigenen Beobachtungen und Erfahrungen berichten.

Die Mentorin berichtet:

Neu als Führungskraft

Es ist nicht meine erste Führungsposition, aber die erste, in der es „nur“ um Führen und um Managen geht. In früheren Positionen, vorwiegend im wissenschaftlichen Umfeld, war ich zwar auch für kleinere oder größere Teams verantwortlich, habe aber noch selbst operativ mitgearbeitet. Nun ist anders. Nun bin ich in einer richtigen Chefetage angekommen.

Ein bisschen fühlt es sich so an wie einst, als ich anfing, an der Universität zu unterrichten. Damals kannte ich mich in meinem Fach ganz gut aus, verfügte jedoch über keinerlei pädagogisches Fachwissen und wusste wenig über zeitgemäße Vortragstechniken. Beides musste ich mir durch Learning-by-doing und durch gezielte Weiterbildung aneignen, während ich meine Lehrtätigkeit schon ausübte. Nun ist es ähnlich. Wieder muss ich etwas lernen, während ich es gleichzeitig schon praktiziere. Diesmal ist es das Führen.

Wo lernt man „Führen“?

Schonfrist gibt es keine. Ich werde ins kalte Wasser geworfen und muss sofort schwimmen. Während des Tages komme ich kaum zum Nachdenken, weil mich das Alltagsgeschäft voll in Anspruch nimmt. Erst abends komme ich dazu, zu reflektieren, was sich am Tag zugetragen hat und mir Gedanken darüber zu machen, was ich denn nun eigentlich so tue. Ich melde mich für ein paar Seminare zu Führungsthemen an. Und – das versteht sich fast von selbst – ich leiste mir weiter, wie schon seit Jahren, regelmäßige Coachingstunden.

Vom operativen Tun zum Führen

Die wichtigste Lektion lerne ich rasch: Mein Arbeitsschwerpunkt hat sich voll und ganz von der operativen auf die organisatorische Ebene verlagert. Habe ich früher selbst Kundenkontakte wahrgenommen oder recherchiert, Konzepte erstellt, Texte verfasst und des Abends zufrieden auf mein, meist verschriftlichtes, Tageswerk zurückgeblickt, ist nun alles anders. Operative Tätigkeit gehört nicht mehr zu meinen Aufgaben. Selbst wenn ich sie weiter ausüben wollte – ich hätte dazu keine Zeit mehr.

Besprechungen und noch einmal Besprechungen

Ich betrachte die Eintragungen in meinen Kalender. Da finden sich Woche für Woche zahlreiche Besprechungstermine unterschiedlicher Art, zum Beispiel die internen Jours Fixes mit Vorstandskollegen, mit Abteilungs- und Projektleiter:innen, mit bestimmten Mitarbeiter:innen. Sie dienen dem internen Informationsaustausch. Mitarbeiter:innen berichten über die Fortschritte der Projekte. Heikle Geschäftsfälle, die außerhalb der Routine liegen, werden besprochen. Das Führungsteam gibt Rückmeldung, bringt Korrekturen an und stellt die Weichen fürs weitere Vorgehen. Die Mitarbeiter:innen bekommen von der Führungsebene Informationen aus der Branche und aus dem Marktgeschehen. Und so weiter.

Geschäftstermine im Kaffeehaus?

Dann gibt es Termine mit Geschäfts- oder Projektpartner:innen. Viele von ihnen finden in Cafés oder Restaurants statt. Arbeitsgespräche im Kaffehaus? In der Tat eignet sich, so finde ich, kein Ort der Welt besser fürs Kennenlernen neuer Geschäftspartner:innen oder für das Anbahnen von Geschäften besser als ein Wiener Kaffeehaus. Es bietet eine unverbindliche und dennoch stilvolle und gediegene Atmosphäre und ist, im Gegensatz zu Büroräumlichkeiten des einen oder anderen Geschäftspartners, ein neutraler Ort. Andere Führungskräfte nutzen auch den Golfplatz, die Sauna, den Segelturn oder an andere vergnügliche Gelegenheiten für geschäftliche Gespräche. Ich persönlich beschränke mich auf die Gastronomie.

Pflege des beruflichen Netzwerks

Kaffeehaustermine, Geschäftsessen, oder Besuche von Jubiläumsfeiern anderer Firmen gehören zur Aufrechterhaltung des geschäftlichen Netzwerks des Unternehmens. Dessen Pflege ist eine sympathische Tradition und leistet, wie sich immer wieder zeigt, einen wichtigen Beitrag zur Produktivität der beteiligten Unternehmen. So vergnüglich, wie diese Treffen von außen aussehen mögen, sind sie jedoch meistens nicht. Ich konzentriere mich während des Essens auf das Geschäftliche und kann mich oft schon am nächsten Tag nicht mehr erinnern, welches Gericht dabei auf meinem Teller war.

Präsenz zeigen

Einige Zeit in meinem Kalender ist meinen Mitarbeiter:innen gewidmet. Da wir als Führungsteam viele Außentermine haben, ist es uns ausdrücklich ein Anliegen, auch in der Firma Präsenz zu zeigen. Wir tun dies auf unterschiedliche Weise. Einer meiner Kollegen geht täglich durch seine Abteilungen, begrüßt die anwesenden Leiter:innen mit Handschlag und wird so auch von jenen Mitarbeiter:innen wahrgenommen, die nicht an den regelmäßigen Führungssitzungen teilnehmen. Das gefällt mir sehr, doch ich will ihn nicht kopieren. Bei mir bekommen die Mitarbeiter:innen dafür viel leichter einen Besprechungstermin. Ich vergesse keinen Geburtstag und bin zur Stelle, wenn jemand ein persönliches Problem mit mir besprechen will. Ich nehme an Firmenfeiern teil und fahre sogar, obwohl mir Veranstaltungen dieser Art eigentlich widerstreben, beim jährlichen Betriebsausflug mit.

Manchen Mitarbeiter:innen mag es vordergründig recht sein, die Führungskräfte so wenig wie möglich zu Gesicht zu bekommen. Dennoch ist es, so meine Erfahrung, immens wichtig, dass die Belegschaft die Präsenz der Führungsriege spürt. Ich werde darauf in einem späteren Eintrag noch ausführlicher zurückkommen. 

Präsenz zu zeigen gilt es auch gegenüber der Kundschaft. Auch wenn direkter Kundenkontakt durch Führungskräfte nicht vorgesehen ist, ist es insbesondere in heiklen oder strittigen Geschäftsfällen sehr wirksam, wenn der Chef/die Chefin höchstpersönlich auf den Plan tritt. Gerade in konfliktären Situationen zahlt es sich oft aus, selbst mit der Kundschaft in Kontakt zu treten, und damit die Wichtigkeit zu betonen, die man der Angelegenheit beimisst. Dies ist oft schon der entscheidende Schritt zu deren gütlicher Regelung. Auch dafür muss Zeit reserviert werden.

Präsenz hat für mich als Führungskraft noch eine weitere Dimension, wenn auch nicht unbedingt eine physische. Während der Großteil der Belegschaft um 17 Dienstschluss hat, nach Hause geht, und im besten Fall bis zum nächsten Morgen keinen Gedanken mehr an die Firma verschwendet, bleiben Führungskräfte zumindest gedanklich immer „im Dienst“, auch nach Feierabend, auch am Wochenende, und im digitalen Zeitalter meist auch im Urlaub.

Präsenz in der Öffentlichkeit

Es gibt in meinem Kalender Termine, die unter die Rubrik „Öffentlichkeitsarbeit“ fallen. Ich vertrete ich die Firma bei Veranstaltungen, bei Branchenzusammenkünften, bei fachlichen Symposien. Ich halte Vorträge oder sitze als Diskussionsteilnehmerin auf einem Podium. Beim eigenen Firmenfest spiele ich die charmante Gastgeberin, die die Ankommenden begrüßt, eine Rede hält und dann den ganzen Abend versucht, mit möglichst allen Anwesenden ein paar Worte zu wechseln. Bei all diesen Gelegenheiten trete ich nicht nur als Person in Erscheinung, sondern repräsentiere in meiner Rolle das ganze Unternehmen.

Führen bedeutet Kommunizieren

Führen bedeutet Kommunizieren, heißt es, und wenn ich mir meine Aufgaben vor Augen halte, wird deutlich, warum die Fähigkeit zur Kommunikation als Kernkompetenz von Führungskräften gilt. So viel geredet wie in meiner jetzigen Position habe ich in meinem beruflichen Leben noch nie: Verhandlungen mit Geschäftspartner:innen, Auftragnehmer:innen oder mit dem Betriebsrat, Treffen mit Aufsichtsratsmitgliedern, dringliche Nachfragen bei Behörden, Bearbeiten interner Konflikte, Beratung und Aufmunterung einzelner Mitarbeiter:innen, und vieles mehr, und das Tag für Tag. Bei jedem Gespräch, bei jeder Verhandlung sind Präsenz und Konzentration gefordert. Kommunizieren ist auch für jene anstrengend, die es gerne tun, und wer das Kommunizieren nicht mag oder kann, sollte, so finde ich, von einer Führungsposition besser die Finger lassen.

Unangenehme Termine

Wie in jedem Kalender finden sich auch in meinem von Zeit zu Zeit Termine, bei denen von vornherein klar ist, dass sie unangenehm und belastend sein werden – etwa dann, wenn eine „unpopuläre“ Entscheidung verkündet werden muss. Manchmal trifft es die ganze Belegschaft, manchmal eine einzelne Person oder ein Team. Manchmal muss man jemandem kündigen, manchmal muss man eine langjährige Geschäftsbeziehung mit einem Auftragnehmer beenden. Ein Wegducken ist in solchen Fällen eine schlechte Lösung, da es, wenn oft auch nur unterschwellig, ein wenig „feig“ rüberkommt und die Autorität der Führungskraft in den Augen der Mitarbeiter:innen und/oder Geschäftspartner:innen untergräbt. Abgesehen davon trifft man sich in der Branche unter Umständen später einmal wieder. Führungskräfte sollten daher in der Lage sein, unangenehme Botschaften zu überbringen, und zwar am besten so, dass die Würde aller Beteiligten gewahrt bleibt und man sich danach noch in die Augen schauen kann.

Ist Managen und Führen denn überhaupt „richtige Arbeit“?

Meine Tage sind also prall gefüllt mit Aufgaben und Aktivitäten. Doch bei all dem Trubel frage ich mich: Was bringe ich tatsächlich zustande? Und ist das, was ich tue, denn überhaupt „richtige Arbeit“?

Von der Fachexpertin zur Führungskraft

Wie viele andere Führungskräfte bin ich eine Fachexpertin gewesen, und wie vielen Fachkräften fällt es mir nicht ganz leicht, mich aus dem operativen Tätigkeitsbereich zurückzuziehen und mich auf die Führungsaufgabe zu konzentrieren. In technischen oder juristischen Belangen, von denen ich wenig verstehe, ist es für mich kein Problem, doch in jenen Bereichen, in denen ich mich gut auskenne, tut es manchmal fast weh, nicht mehr selbst Hand anlegen zu dürfen. Wie gut verstehe ich nun die Professoren an den Universitäten, die sich, als sie sich plötzlich in einer Leitungsfunktion wiederfanden, bitterlich darüber beklagten, dass sie nun vor lauter Personalagenden und Bürokratie nicht mehr zu ihrer „richtigen“ Arbeit kämen.

Doch abgesehen davon, dass ich ohnehin keine Zeit mehr habe, mich überall „einzumischen“, weiß ich natürlich auch, dass die Fähigkeit zum Delegieren zu den wichtigsten Qualitäten einer Führungskraft gehört. Ich verordne mir also bewusst, die operativen Tätigkeiten meinen Mitarbeiter:innen zu überlassen. Ich zwinge mich zum Delegieren, denn am Rollenwechsel führt kein Weg vorbei.

Um mir selbst zu versichern, dass ich sehr wohl „arbeite“, halte ich mir einen durchschnittlichen Tag vor Augen: Beim Frühstück im Kaffeehaus habe ich mit Kollegen die Weichen für ein neues Projekt gestellt, das, wenn es realisiert wird, der Firma Millionen bringen wird. Das Gespräch mit dem Betriebsrat am Nachmittag hat ein heikles Personalproblem gelöst, das lange geschwelt und das Betriebsklima beeinträchtigt hat. Die abendliche Versammlung war der Auftakt zu einer gemeinsamen Kampagne für eine Gesetzesänderung im Sinne unserer Branche. Und auch die Routinetätigkeiten waren wichtig für den Fortgang der Alltagsgeschäfte. Ich kann also beruhigt feststellen: Auch Managen und Führen ist „richtige Arbeit“.

Kann ich „es“ denn überhaupt?

Manchmal bekomme ich ob der Verantwortung, die ich für die Firma und die Belegschaft übernommen habe, beinahe eine Gänsehaut. Die Summen, die in der Bilanz aufscheinen, sind schwindelerregend. Der Einfluss, den ich als Führungskraft auf das Arbeitsleben der Mitarbeiter:innen und auf ihre Karriereverläufe habe, lässt mich ehrfürchtig werden. Kann ich „es“ denn überhaupt? Ich stelle mir diese Frage nicht allzu oft, doch wenn ich es tue, dann sage ich mir vor, dass immerhin ein Dutzend Menschen entschieden haben, mich an diese Stelle zu setzen, und dass die sich zweifellos etwas dabei gedacht haben. Was ich selbst tun kann, ist, Tag für Tag mein Bestes zu geben. 

Tipp der Mentorin:

Führung ist eine höchst anspruchsvolle Aufgabe, die zahlreiche Dimensionen menschlicher und geschäftlicher Interaktion umfasst. Aufgrund der Gruppendynamik im eigenen Unternehmen sowie von Marktdynamiken und gesellschaftlichen Entwicklungen stehen Führungskräfte immer wieder vor neuen Herausforderungen. Jede Führungskraft tut gut daran, sich mit ihrer Rolle laufend und gründlich auseinanderzusetzen – und sich dabei eventuell die Unterstützung eines guten Coachs zu gönnen.