Zu den Hauptaufgaben einer Führungskraft gehört es, Entscheidungen zu treffen. Es stellt sich die Frage: Was ist eine gute Entscheidung und wie kommt sie zustande? Wie viel Information braucht man um eine gute Entscheidung zu treffen? Trifft man die Entscheidung alleine? Wer ist in die Entscheidungsfindung einzubeziehen?
Die Mentorin berichtet:
Mit einer gewissen Faszination beobachte ich, wie in meiner neuen Umgebung – im eigenen Unternehmen und auch bei Geschäftspartnern – Entscheidungen getroffen werden. War ich es bisher gewohnt, vor der Entscheidung wichtiger Angelegenheiten Informationen einzuholen, die Sachlage zu analysieren, Folgen abzuschätzen, Mitarbeiter:innen einzubinden, und dem Prozess der Entscheidungsfindung die nötige Zeit einzuräumen, erlebe ich nun etwas ganz anderes.
Müssen Manager entscheidungsfreudig sein?
Die meisten meiner Geschäftspartner in der Branche sind ausgesprochene Machertypen. Sie treffen ihre Entscheidungen ohne lange zu fackeln. Von einem Manager wird Entscheidungsfreude erwartet, also wird entschieden. Nicht immer, so kommt mir vor, steht dabei das Ergebnis im Fokus. Oftmals scheint der Entscheidungsakt an sich das Wichtigste zu sein. Immerhin geht bei dieser Vorgangsweise, wie man so schön sagt, „etwas weiter“. Und es fasziniert mich umso mehr, als ich mit der Zeit beobachte, dass die meisten dieser Entscheidungen, die aus meiner Sicht quasi ziemlich ad hoc getroffen werden, sehr gute Ergebnisse nach sich ziehen.
Gute „Bauchentscheidungen“ aufgrund von Erfahrung
Entscheidungsschwäche ist also bei meinen neuen Kollegen und Geschäftspartnern nicht zu befürchten. Lange Branchenzugehörigkeit und viel Erfahrungswissen befähigen sie tatsächlich, gute Entscheidungen quasi „aus dem Bauch heraus“ zu treffen. Sie sind in der Lage, Problemlagen rasch und umfassend einzuschätzen, sehen die Handlungsoptionen vor sich und scheuen sich nicht davor, sich festzulegen. Mancher dieser Kollegen ist darüber hinaus eine charakterlich gefestigte, in sich ruhende Persönlichkeit und bringt eine wohltuende Portion Souveränität in die Entscheidungsprozesse mit ein.
Nicht überall herrscht jedoch eine derartige Entscheidungsfreude vor. Wir alle haben schon andere Arten der Entscheidungssuche und -findung erlebt.
Aufgeschobene Entscheidungen
Da wäre einmal die Entscheidung, die niemand treffen mag, weil sie unpopuläre Folgen haben könnte, oder weil sie naturgemäß andere Optionen, die auch attraktiv wären, ausschließt. Solche Entscheidungen werden, oft in stillschweigendem, gegenseitigem Einverständnis mehrerer Betroffener, von einem Sitzungstermin zum nächsten verschoben, oft wochen- oder monatelang. Der „Vorteil“ dabei ist: Solange nichts entschieden ist, passiert nichts, und alles bleibt offen.
Entscheidungen ohne Umsetzungsplan
Dann gibt es Entscheidungen, die mit halbem Herzen – oder sagen wir besser: nur teilweise getroffen werden. So machen wir das! heißt es in bestimmtem Ton, doch niemand legt fest, wie und wann die Sache tatsächlich in Angriff zu nehmen oder fertigzustellen ist, und auch nicht, wer für die Erledigung verantwortlich ist. Alle, die jemals ein Projektmanagement-Seminar besucht haben, wissen, dass es zum Einmaleins der ordentlichen Abwicklung eines Projekts gehört, Verantwortlichkeiten und Zeitschienen festzulegen – nicht zuletzt um zu verhindern, dass alle davon ausgehen, jemand anderer werde sich schon darum kümmern, während es schließlich niemand macht. Es erstaunt mich immer wieder, dass diese einfache Regel dennoch immer wieder außer Acht gelassen wird, und man nicht selten schräge Blicke erntet, wenn man in einer Sitzung Festlegungen dieser Art einfordert.
Wie viel Demokratie beim Entscheiden?
Aus der Forschung kommend, tendiere ich dazu, der Analysephase eine hohe Bedeutung einzuräumen, und auch Mitsprache von Mitarbeiter:innen betrachte ich als ein hohes Gut. Dazu habe ich in einem früheren Arbeitskontext einmal eine interessante Erfahrung gemacht. Beseelt von demokratischen Führungsideen saß ich mit allen Abteilungsleiter:innen an einem Tisch um Details des neuen Corporate Design zu besprechen. Bei der letzten Entscheidung ging es um die Stärke des Striches auf dem Briefpapier, der die Kopfzeile vom Rest der Seite trennte. Ästhetisch versiert wie alle waren, wurde lebhaft diskutiert ohne zu einem Schluss zu kommen. Ich hörte eine Weile zu. Dann überschlug ich im Kopf die fiktiven Personalkosten dieser Diskussionsrunde und traf eine Entscheidung. Ich trat an den Tisch, deutete mit dem Finger auf eine beliebige der Versionen, die dort ausgebreitet lagen, und sagte: Diese da nehmen wir.
Entscheiden heißt Verantwortung übernehmen
Hatte ich erwartet, dass man mich offen oder hinter vorgehaltener Hand wegen meiner undemokratischen Vorgangsweise oder wegen fehlenden ästhetischen Verständnisses kritisieren würde, hatte ich mich geirrt. Niemand schmollte, niemand war beleidigt. Ganz im Gegenteil, alle waren zufrieden, denn mit meiner Entscheidung hatte ich den unliebsamen Entscheidungsprozess beendet und die anderen der Verantwortung enthoben. Wäre das Briefpapier in Zukunft auf Missfallen gestoßen, so wäre es allein mir zuzuschreiben gewesen, alle anderen waren aus dem Schneider. Müßig zu erwähnen, dass das Briefpapier nie wieder Thema war.
Ich hatte eine wichtige Lektion gelernt: Geht es um Entscheidungen, ist ein klares Wort der Führungskraft eine Entlastung für die nachgeordneten Ebenen. Entscheiden bedeutet nämlich nicht in erster Linie den eigenen Willen durchzusetzen, sondern vor allem, Verantwortung zu übernehmen. Die Scheu vor der Verantwortung für die Entscheidung für etwas – und damit gegen die Alternativen – mag ein Grund dafür sein, warum sich viele Menschen, beruflich und privat, gerne um Entscheidungen herumdrücken.
Auch Nicht-Entscheiden schafft Fakten
Entscheidungsschwäche von Führungskräften ist eine große Belastung für die Mitarbeiter:innen. Muss man dem Chef/der Chefin wochenlang „hinterherrennen“ um eine Entscheidung zu erwirken, die zu treffen man selbst nicht befugt ist, behindert dies nicht nur den Arbeitsfluss, sondern zehrt auch an den Nerven und schwächt die Motivation.
Überdies führen auch nicht getroffene Entscheidungen zu Ergebnissen, wenn auch nicht unbedingt zu beabsichtigten. Durch Zögern und Zaudern wird ein – möglicherweise suboptimaler – Status Quo beibehalten, oder es wird ein neuer Schwebezustand geschaffen. Beides bindet unnötig Ressourcen und ist für niemanden, dem es um effizientes Arbeiten geht, angenehm.
Entscheidungen einsam treffen?
Nicht mit jeder Entscheidungsfindung sollen Mitarbeiter:innen – über die gesetzlich verankerte betriebliche Mitbestimmung hinaus – befasst werden, und nicht jede Entscheidung muss für alle Angehörigen des Unternehmens nachvollziehbar sein. Es gibt Entscheidungen, die Führungskräfte alleine treffen müssen, weil sie zum Beispiel auf Informationen beruhen, die nur der Führungsebene zur Verfügung stehen.
Manchmal müssen Entscheidungen wider die Interessen der Belegschaft getroffen und gegen Widerstände durchgesetzt werden – auch das ist Teil der Führungsaufgabe. Man denke nur an Maßnahmen wie die Auflösung oder Zusammenlegung von Abteilungen aus Kostengründen oder die Auslagerung einzelner Geschäftsbereiche oder im Extremfall die Notwendigkeit von Personalabbau, sprich: Kündigungen.
Kooperative Entscheidungsfindung
Im normalen Unternehmensalltag, in dem es ja zum Glück nicht immer so brachial zugeht, wähle ich persönlich, wo immer dies möglich ist, den kooperativen Weg. Ich fahre gut damit. Meist verfügen die Mitarbeiter:innen ja über mehr spezifisches Fachwissen als ich. Ihre Informationen stellen für mich relevante Entscheidungsgrundlagen dar.
Ein weiterer Grund für die Einbeziehung von Mitarbeiter:innen in Entscheidungsprozesse ist die Tatsache, dass für gewöhnlich die Mitarbeiter:innen sind, die sich um die Umsetzung kümmern müssen. Wenn ich sie an der Entscheidung teilhaben lasse, hole ich sie quasi schon vorab ins Boot. Diese Vorgangsweise habe ich mir von der Politik abgeschaut, in deren Umfeld es mich einmal kurzzeitig verschlagen hat. In der (sachbezogenen!) Politik kommt man nämlich, wenn man etwas erreichen will, nicht umhin, sämtliche Gruppierungen, die in der Angelegenheit legitime Interessen haben, im Vorfeld mit einzubinden. Man präsentiert sein Projekt, versucht zu überzeugen. Man hört Einwände, kann diese berücksichtigen und etwaigen Widerstand minimieren. Dabei kommt einem nicht zuletzt ein psychologischer Faktor zu Hilfe: Menschen, denen eine Sache ernsthaft und sachlich erklärt wird, und die um ihre Meinung gefragt oder um etwas gebeten werden, und die mitentscheiden dürfen, tendieren schließlich dazu, die Sache, um die es geht, zu der ihren zu machen und für sie einzustehen.
Conclusio der Mentorin:
Zum Thema „Entscheiden“ gibt es noch viel zu sagen – und das werde ich in den folgenden Einträgen auch immer wieder tun. Festhalten will ich hier, dass es keine „beste Art der Entscheidung“ gibt, die immer und überall anwendbar ist. In einem Fall ist rasche Entscheidung gefragt, während man sich in einem anderen bei der Abwägung der Alternativen mehr Zeit lassen sollte. Einmal ist es gut, Mitarbeiter:innen einzubinden, ein anderes Mal entlastet es alle Beteiligten, es nicht zu tun. Die Kunst ist, wie so oft, zu erkennen, welche Situation gerade vorliegt, und dann die Handlungen danach auszurichten.