In Österreich tobt gerade der Kampf um den Vorsitz der Sozialdemokratischen Partei. Bei einer Befragung aller Mitglieder hat tatsächlich der Kandidat die meisten Stimmen bekommen, der jahrelang ein Störfeuer nach dem anderen in Richtung der bisherigen Vorsitzenden abgeschossen und sie quasi öffentlich gemobbt hat.

Er frage sich, ob ein Kandidat, der zu solchen Mitteln greift, geeignet ist, ein Land zu führen, meinte ein Journalist[1] sinngemäß bei der Analyse dieses Ergebnisses und stellte die Frage in den Raum, warum es den Parteimitgliedern, die für diesen Kandidaten gestimmt haben, egal zu sein scheint, wie der menschlich tickt.

Der Journalist gab am Ende selbst eine plausible Antwort auf seine Frage. Doch bevor ich diese wiedergebe, will ich ein paar eigene Anmerkungen zum Thema „Mobbing“ machen.

Die Mentorin berichtet:

„Die Arbeitswelt ist zu einem Kriegsschauplatz geworden“, sagte mir ein Berater des Arbeitsmarktservice, der schier unfassbare Geschichten zu erzählen weiß, wie sie tagtäglich in den Unternehmen und Institutionen passieren. Anschwärzungen, Intrigen, willkürliche Degradierungen, Verleumdungen, Verrat, Vernichtung – diese Begriffe, die an schwärzeste Zeiten unserer Geschichte gemahnen, kennzeichnen heutzutage die Arbeitswelt. Ich selbst habe etliche solcher Geschichten miterlebt. Seit langem verwundert es mich, dass Niedertracht im Arbeitsleben kaum jemals Thema des öffentlichen Diskurses ist, und dass ihr nicht die (demokratie)politische Dimension beigemessen wird, die sie in Wirklichkeit hat.

„Gute“ Tipps von einem, der es wissen muss

Als ich meinen jetzigen Job antrat, brüstete sich ein selbsternannter Ratgeber mit einer Reihe von Verhaltensweisen, die er sich, wie er stolz verkündete, angewöhnt hatte, um sich seine Führungsaufgabe zu erleichtern. Gönnerhaft ließ er mich an seinen Erkenntnissen teilhaben und gab mir folgende Ratschläge:

Lassen Sie Ihre Mitarbeiter:innen immer ein bisschen im Unklaren, damit sie sich niemals sicher fühlen. Es beschränkt ihren Spielraum, wenn sie nie genau wissen, woran sie sind!

Wenn Sie keine klaren Vorgaben machen, haben Sie immer etwas gegen die Leute in der Hand, denn Sie können ihnen jederzeit vorwerfen, etwas falsch gemacht zu haben.

Beschuldigen Sie Ihre Mitarbeiter:innen einfach, und Sie haben sie sofort in der Defensive, egal, ob es gerechtfertigt ist oder nicht. Damit stellen Sie sicher, dass sie nie zu anmaßend werden.

Denken Sie an den Grundsatz: Teile und herrsche. Das lässt sich beispielsweise mit einer unsystematischen, nicht leistungsbezogenen und nicht nachvollziehbaren Prämienzuteilung erreichen. Die Leute werden sich in Neid und Eifersucht gegeneinander wenden, und kaum gegen die Geschäftsführung.

Wenn Sie Leute loswerden wollen, und es gibt dabei Hindernisse, weil sie zum Beispiel Mitglieder des Betriebsrats und daher unkündbar sind, zermürben Sie sie so lange, bis sie von selbst aufgeben.

Am besten sei es überhaupt, so riet er mir schließlich, den Leuten immer ein wenig Angst zu machen, denn, so versicherte er mir, ängstliche Leute regiert man leichter.

Mich machte dies sprachlos, doch gilt derlei Verhalten mittlerweile weithin als smart und als Zeichen von Karrieretüchtigkeit.

War früher alles besser?

In meinen beruflichen Anfängen vor einigen Jahrzehnten habe ich im Arbeitsleben kaum Niedertracht erlebt. Natürlich gab es auch damals in den Führungsetagen problematische Persönlichkeiten, die ihre Position nicht nur zum Lenken und Gestalten nutzten, sondern auch, um ihre persönlichen Machtgelüste zu befriedigen oder sich für Demütigungen, die ihnen in ihrer Kindheit und Jugend zugefügt wurden, schadlos zu halten, indem sie nun andere demütigten. Unter ihren Chefs haben Menschen auch damals gelitten, denn schlechtes Führungsverhalten gab es zu allen Zeiten.

Dennoch waren die Verhältnisse andere. Zum einen konnte man, wenn es unangenehm wurde, aufgrund der günstigen Arbeitsmarktlage relativ problemlos den Job wechseln. Zum anderen waren schäbige Verhaltensweisen da und dort zwar Realität, aber sie waren verpönt. „Mobbing“ war noch nicht einmal als Begriff bekannt. Niemand prahlte damit, die Techniken der Niedertracht zu beherrschen und mittels Psychoterrors, intriganten Strategien oder Hinterlist vorwärts zu kommen. Fairness und Handschlagqualität galten als Tugenden und nicht wie heute zuweilen als Ausdruck von Geschäftsuntüchtigkeit oder gar von Naivität.

Das absolute Konkurrenzpostulat des Neoliberalismus verroht die Sitten

Mit der zunehmenden Durchdringung der Ideologie des Neoliberalismus in Wirtschaft und Gesellschaft und dem absoluten Postulat des individualistischen Konkurrenzdenkens hat sich das Wertegefüge im Geschäftsleben und damit das Verhalten der Menschen verändert. Schranken fallen, Hemmschwellen werden versetzt, Skrupel nehmen ab. Mitarbeiter:innen, in allen Positionen, erleben Tag für Tag Niederträchtiges. Und man weiß, man kann jederzeit das nächste Opfer sein.  

Warum Niedertracht „toleriert“ wird

Daher ist es kaum verwunderlich, dass es mit Mitgefühl und Empörung über Niedertracht nicht mehr weit her ist. Niedertracht gehört zum Spiel, da darf man nicht so empfindlich sein – so erfährt man es schließlich fast jeden Tag, und so sagt man es sich zum Selbstschutz immer wieder vor.

Vielleicht ist dies die eine Antwort auf die Frage des Journalisten. Wie soll man von Menschen, die selbst unter niederträchtigen Verhältnissen leben und leiden, erwarten, dass sie Niedertracht verurteilen – noch dazu, wenn sie fern von einem geschieht, und überdies im politischen Geschäft, wo dies wohl ohnehin gang und gäbe ist?

Die institutionelle Dimension

Dann gibt es da noch die institutionelle Dimension. Wohl haben sämtliche große Unternehmen Anti-Mobbing-Stellen, an die sich Mitarbeiter:innen, die Schikanen ausgesetzt sind, wenden können. Sie schicken ihre Mitarbeiter:innen in Anti-Mobbing-Programme, damit diese lernen, toxische und niederträchtige Verhaltensweisen zu erkennen und sich, wenn sie selbst betroffen sind, dagegen zur Wehr zu setzen. Auch die großen Interessenvertretungen haben Stellen eingerichtet, die Mobbing-Opfern zu Hilfe kommen. Alle scheinen etwas gegen Mobbing & Co. tun zu wollen.

Die Wahrheit aber ist: Sie tun in Wirklichkeit NICHTS. Fast immer ist es das Mobbing-Opfer, das die Firma verlassen muss oder sonst wie auf der Strecke bleibt, während die Mobber:innen ihre Positionen behalten als wäre nichts geschehen – obwohl das Mobbing-Verhalten bis in die Chefetage bekannt wird. Ich habe dies so oft beobachtet, dass ich schon fast behaupten kann, es sei nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Warum bleiben Mobber:innen unbehelligt?

Man fragt sich, warum Mobber:innen unbehelligt bleiben.

Nun, zum einen kommt zum Tragen, was ich in einem der vorigen Einträge über das „Verhalten“ von Institutionen geschrieben habe: dass sie nämlich vor allem ihren Bestand und ihre Strukturen schützen und daher immer den Weg wählen, der am wenigsten Staub aufwirbelt, auch wenn er alles andere als nobel ist. Meist ist es einfacher, dem Opfer den Stempel des „Störenfriedes“ aufzudrücken als sich mit einem Konflikt auseinanderzusetzen. Und wenn die Mobber:innen dazu noch solche sind, die sich mit allen Mitteln nach oben kämpfen, dann sind sie ja quasi Siegertypen, deren Ziele mit der Logik des Unternehmens konform gehen. Man ist lieber auf der Seite der Sieger als auf jener der Opfer.

Letzteres deckt sich mit der Erklärung, die der Journalist heute dafür angeboten hat, dass viele Parteimitglieder für einen Mann gestimmt haben, von dem sie annehmen können, dass sein Charakter fragwürdig ist. Es sei ähnlich wie beim Sport, meinte der Journalist, denn auch da gehe es allein um den Sieg. Sieg und Sieger werden bejubelt, und keiner fragt, ob der Sieg durch eine falsche Schiedsrichterentscheidung oder durch unfaires Spiel des eigenen Teams oder durch was auch sonst noch immer errungen wurde.

Traurig, sagte er, aber es ist die Realität. Meine Erfahrung gibt ihm Recht.

Hinweis der Mentorin

Dem Thema Mobbing&Co werde ich mich in einem der folgenden Einträge noch ausführlicher widmen. Dort werde ich auch auf die Frage eingehen, was man am besten tut, wenn man gemobbt wird.


[1] Köksal Baltaci von Die Presse bei der Presseschau in der Morgensendung von Puls4 am 23.5.2023