Vor ein paar Jahren hörte ich den Vortrag eines Soziologen über den Vorzug älterer Arbeitnehmer:innen, die, so führte er aus, über „Erfahrungswissen“ verfügten, das junge Leute bzw. Anfänger in der Branche, auch jene mit bester Ausbildung, nicht haben können. Der Soziologe legte beispielhaft dar, was er damit meinte. Er sprach von einem Arbeiter, der am „Sound“ seiner Maschine, den andere gar nicht wahrnahmen, erkennen konnte, wie es um die Maschine bestellt war.

Nach diesem Vortrag begann ich, bei meinen Mitarbeiter*innen auf diesen Aspekt des Arbeitslebens besonders zu achten, und seither finde ich die These, dass persönliche Reife und Erfahrungswissen durch nichts zu ersetzen sind, immer wieder bestätigt. Ein Paradebeispiel ist meine Sekretärin. deren Vorzüge ich bereits an anderer Stelle ausführlich geschildert habe. Sie ist über siebzig Jahre alt, doch wir wollen sie nicht gehen lassen, denn niemand kann sich das Sekretariat ohne sie vorstellen. 

Ab wann sind Arbeitnehmer:innen „alt“?

Viele Unternehmen scheuen sich, ältere Mitarbeiter:innen aufzunehmen, wobei der Begriff „älter“ mitunter schon auf Menschen, die 35 oder 40 Jahre alt sind, angewendet wird. Unsere Firma bildet glücklicherweise eine Ausnahme, denn hier findet sich ein breites Altersspektrum. Der Unterschied zwischen der jüngsten und der ältesten Mitarbeiterin beträgt mehr als ein halbes Jahrhundert. Und erst kürzlich haben wir eine Schlüsselkraft im Vorstandsbüro nachbesetzt und zur Bedingung gemacht, dass Bewerber:innen ein Mindestalter von 50 Jahren aufweisen.

Was spricht für ältere und erfahrene Mitarbeiter:innen?

In jedem Unternehmen und in jeder Branche lassen sich Beispiele finden, die die Vorteile erfahrener Mitarbeiter:innen fürs Unternehmen belegen. Die „Altgedienten“ kennen ungeschriebene Usancen, wissen aus langjähriger Praxis, wie bestimmte Problemfälle zu handhaben sind, und sind mit den Subkulturen im Unternehmen vertraut, sodass sie auf kurzem Wege Lösungen finden können, die Neulingen verschlossen bleiben.

Der erwähnte Arbeiter, der seit Jahren seine Produktionsmaschine bedient, kennt nicht nur deren technischen Aufbau, er bemerkt auch an leisesten Tönen, wenn etwas nicht stimmt. Genauso nimmt eine erfahrene Sekretärin Zwischentöne in der Firma wahr und gibt den Kolleg:innen den einen oder anderen diskreten Hinweis, bevor etwas zum Konflikt wird. Eine erfahrene Verkäuferin kann Kund:innen psychologisch gut einschätzen. Eine Hausverwalterin, die lange Zeit im Einsatz ist, weiß nicht nur um die Besonderheiten der Häuser Bescheid, sondern auch um die Befindlichkeiten der Bewohner:innen. Ein erfahrener Projektentwickler ist nicht nur technisch bewandert, sondern weiß auch, wie die komplizierten und umfangreichen gesetzlichen Vorschriften in der Alltagspraxis auszulegen sind, und welche Stellen er kontaktieren muss um sein Projekt voranzutreiben. Der erfahrene Bibliothekar weiß, wie er der säumigen, jungen Leserschaft helfen kann, Mahngebühren zu umgehen und sie so als Leser:innen zu halten. Die Buchhalterin, die seit zwanzig Jahren im Unternehmen ist, findet Lösungen, weil sie sich an ähnliche Fälle erinnert. Der langgediente Abteilungsleiter kann auf ein großes berufliches Netzwerk zurückgreifen, das ihm, wenn es drauf ankommt, mal schnell unter die Arme greift.

Weitere Vorteile älterer Mitarbeiter:innen

Die Vorzüge vieler älterer Mitarbeiter:innen gehen jedoch noch darüber hinaus. Ab einem gewissen Alter haben die meisten Menschen die Stürme des Lebens hinter sich. Sie feiern keine nächtelangen Partys mehr und hängen nicht mehr verkatert im Bürosessel. Sie sind verlässlich, überblicken das große Ganze und übernehmen Verantwortung. Da sie schon viel gesehen haben, sind sie gelassener und bilden oft in ihrem Wirkungsbereich den ruhenden Pol. Entgegen landläufigen Annahmen gehen sie, meiner Beobachtung nach, weniger in den Krankenstand als Junge. Und ältere Frauen, die nach der Familienphase und dem Auszug der Kinder Lust haben, noch einmal neu durchzustarten, sind in punkto Arbeitseifer und Einsatzbereitschaft sowieso von niemandem zu übertreffen.

Auch das Argument, dass ältere Arbeitskräfte teuer sind, gilt nur bedingt und nur für jene, die schon lange im Betrieb sind und aufgrund des Senioritätsprinzips ein höheres Gehalt beziehen. Nimmt man ältere Mitarbeiter:innen hingegen neu ins Unternehmen auf, sind deren Erwartungen für gewöhnlich realistisch und moderat. Somit stellen ältere Mitarbeiter:innen keinen außergewöhnlichen Kostenfaktor dar.

Erfahrungswissen gezielt nutzen

Ich habe ältere Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen immer geschätzt, habe ihnen und ihrer Erfahrung Respekt entgegengebracht und viel von ihnen gelernt. Auch als Vorgesetzte nehme ich diese Haltung ein, und ich finde kaum etwas schlimmer als junge Chef:innen, womöglich frisch von der Universität, die, gerade erst auf ihren Posten gehievt, glauben, das theoretische Wissen, das sie sich während ihrer Ausbildung angeeignet haben, reiche aus um eine Abteilung oder gar ein Unternehmen erfolgreich zu führen. Ich halte es für eine fahrlässige Verschwendung von Ressourcen, wenn Vorgesetzte das Erfahrungswissen, das im Unternehmen vorhanden ist, nicht aufgreifen oder gar missachten und sich aus Profilierungsgründen mit praxisfernen Dienstanweisungen darüber hinwegsetzen.

Arbeitskräftemangel und die „Alten“

In jüngster Zeit wird immer häufiger darüber geklagt, dass Fachkräfte schwer zu finden sind. In manchen Branchen wie etwa der Gastronomie fehlen Arbeitskräfte in allen Bereichen. Allenthalben ertönt medial schon der Ruf nach den „Alten“, die über das Pensionsalter hinaus arbeiten sollen oder aus dem Ruhestand zurück ins Unternehmen kommen sollen. Momentan stellen die bestehenden Steuer- und Sozialversicherungsgesetze eher ein Hindernis für die Beschäftigung Älterer dar. Doch gut möglich, dass sich dies in Bälde ändert.

Natürlich gibt es Branchen, in denen Ältere nicht mehr die Leistung bringen können wie junge. Insbesondere, wenn Schichtdienst oder körperliche Schwerarbeit gefordert sind, ist jedem und jeder, die das Pensionsalter erreicht, der Ruhestand zu gönnen. Viele andere aber, die in fortgeschrittenem Alter noch fit sind und weiterarbeiten wollen, sollten am Arbeitsmarkt eigentlich herzlich willkommen sein.

Irgendwann sind wir alle „alt“

In unserer Firma herrscht zum Glück ein Klima des Respekts für die „Alten“. Sie sind in das Gefüge eingebunden wie alle anderen auch, und ich finde dies außerordentlich erfreulich, denn schließlich wird es nicht mehr lange dauern, bis wir alle zu den Alten gehören.