Als Neue in der Branche bekomme ich es mit mächtigen alten Hasen zu tun, die dem Branchengeschehen seit Jahrzehnten ihre Stempel aufdrücken. Es sind fast ausschließlich Männer, und viele von ihnen sind keine Chefs der Zukunft (wie ich sie in einem der nächsten Beiträge beschreiben werde), sondern eher Alleinherrscher vom alten Schlag.

Wie geht man mit solchen Männern um, wenn sie plötzlich Kollegen oder Geschäftspartner sind?

Die Mentorin berichtet: 

Zu meinen Tätigkeiten in den ersten 100 Tagen gehören Antrittsbesuche bei Branchenkollegen, wichtigen Verwaltungsbeamt:innen, und Vertreter:innen von Institutionen, mit denen mein Unternehmen kooperiert.

Einer der Herren, die ich aufsuche, ist der Direktor eines der größten Unternehmens der Branche. Er ist ein Urgestein, sein Wort hat Gewicht, und nicht nur in der Branche. Es dauert sechs Wochen, bis ich einen Termin bekomme.

Die Sekretärin empfängt mich. Sie nimmt mir den Mantel ab, bittet mich, im Vorzimmer auf der Ledergarnitur, die für Besucher:innen vorgesehen ist, Platz zu nehmen und fragt mich, ob ich etwas trinken möchte. Ich lehne höflich ab, denn es kann sich ja nur noch um Augenblicke handeln bis ich vorgelassen werde.

Sie geht ins Büro ihres Chefs und sagt beim Herauskommen: Ein bisschen wird’s noch dauern. Ich blicke auf die Uhr. Es ist bereits sieben Minuten nach der vereinbarten Zeit.
 
Nach weiteren acht Minuten des Wartens lässt mich der mächtige Herr, der nun einer meiner Geschäftspartner ist, zu sich bitten. Die Sekretärin öffnet die Tür zu seinem Büro. Da thront er hinter seinem riesigen Schreibtisch, auf dem sich teure Schreibutensilien und eine Mappe befinden, sonst nichts. Ich denke an meinen Schreibtisch, der immer nahezu überquillt. Er entschuldigt sich nicht für die Verspätung und macht keine Anstalten, mir entgegen zu kommen. Ich überlege kurz, wie es sich wohl für Untergebene, aber auch für Geschäftspartner, die ein Anliegen haben, anfühlt, den ganzen Raum – schätzungsweise 12 Meter – durchschreiten zu müssen um in die Nähe des großen Bosses zu gelangen. Mit jedem Schritt fühle ich mich ein wenig kleiner. Ich bleibe auf halbem Weg stehen.

Wäre ich weitergegangen, hätte ich fast erwartet, dass er mir den Sessel neben seinem Schreibtisch (dort wo die Sekretärin wohl sitzt, wenn er diktiert) als Sitzgelegenheit zuweist, doch da ich mitten im Raum stehen bleibe, steht er schwerfällig auf, geht schließlich doch ein paar Schritte auf mich zu und weist mit einer Handbewegung auf seine Ledergarnitur, die eine Ecke des riesigen Zimmers einnimmt.

Hat man Ihnen schon etwas zu trinken angeboten? fragt er als wir uns setzen. Die Sekretärin bringt Wasser für mich und einen Kaffee für ihn. Sie hat ihn nicht nach seinen Wünschen gefragt. Sie kennt sie längst in- und auswendig.

Dann beginnt er zu sprechen. Es überrascht mich nicht, dass es ein Monolog wird. Er preist zunächst sein Unternehmen, zählt dessen Erfolge auf (redet stets in Ich-Form, wenn vom Unternehmen die Rede ist), und kommt dann tatsächlich auf sich selbst zu sprechen, schildert mir ausschweifend seinen Werdegang, der, wie könnte es anders sein, immer nur steil nach oben gegangen ist. Dann lässt er, scheinbar beiläufig, ein paar prominente Namen fallen um auf sein Netzwerk zu verweisen. Als er fertig ist, nach etwa zwanzig Minuten, sieht er auf die Uhr, sagt, dass er nun gleich den nächsten Termin habe und springt auf. Keine einzige Frage hat er mir gestellt, keine zwei Minuten hat er mich zu Wort kommen lassen. Er geleitet mich zur Tür, ganz so als würde er mich so schnell wie möglich los werden wollen. Habe ich ihm etwa nicht ausreichend Bewunderung gezollt? Oder ist er immer so, wenn er es mit Leuten zu tun bekommt, die er – formale Position hin oder her – als nicht gleichrangig erachtet?

Nun, er ist nicht der Erste, der sich so verhält, und wird auch nicht der Letzte sein.

Vielleicht hätte ich um Aufmerksamkeit kämpfen sollen. Vielleicht hätte ich mich bemühen sollen, mich ins Gespräch einzubringen. Ich habe es nicht getan, denn es schien mir die Anstrengung nicht wert. Es ging schließlich um nichts. In Zukunft werde ich kaum viel mit ihm zu tun haben, und nicht nur, weil er bald in Pension sein wird. Ich habe mir ein Bild von ihm gemacht und weiß, was von ihm zu erwarten ist. Und im unwahrscheinlichen Fall, dass ich eines Tages doch etwas von ihm brauchen sollte, weiß ich nun, da ich ihn erlebt habe, auch, wie ich es anlege. 

Dennoch bleibt ein schales Gefühl. Ich bin eine beruflich erfahrene Frau, die gelernt hat, sich durchzusetzen. Ich verstehe mich längst darauf, Vielredner zu bremsen, ausschweifende Monologe zu beenden und das Gegenüber auf das eigentliche Thema zurückzubringen. Jahrzehnte lange Übung habe ich in diesen Künsten, ohne die es im Umgang mit so manchem der männlichen Kollegen nicht geht. Nun habe ich den alten Herrn, in der Gewissheit, dass ich auch anders könnte, wenn es darauf ankommt, dennoch einfach reden lassen.

Ich kann es verschmerzen, doch mit welchen Gefühlen geht eine junge Frau, die am Anfang ihrer Karriere steht, von einem solchen Treffen weg? Sie müsste schon über sehr viel Selbstbewusstsein verfügen um sich nach dieser Machtdemonstration nicht klein, unbedarft und unwichtig zu fühlen, denke ich traurig.

Am Rückweg in mein Büro halte ich mir die Aspekte seiner ritualisierten Machdemonstration noch einmal einzeln vor Augen: 

• Er hat warten lassen. Es ist immer die mächtigere Person, die warten lässt.

• Er residiert in einem pompösen Büro, ausgestattet mit Mobilar und Utensilien, die an sich schon Macht signalisieren.

• Der leere Schreibtisch demonstriert, dass er nicht selbst arbeitet, sondern nur Anweisungen erteilt und entscheidet.

• Er lässt sich von seiner Sekretärin in einer Art bedienen, die zeigt, dass er es gewohnt ist, bedient zu werden. (Ich hätte mich kaum gewundert, hätte er mit dem Finger nach ihr geschnippt. )

• Die „Konversation“ mit mir war in Wirklichkeit ein Monolog. Er bestimmte die Themen, er redete, er nahm allen Raum ein, beanspruchte fast die gesamte Zeit für sich.

• Schließlich bestimmte er, wann das “Gespräch” zu Ende war.

Er ist ein Chef aus der alten, um nicht zu sagen “veralteten” Schule, machtbewusst und autoritär. Solche wie ihn wird es hoffentlich nicht mehr lange geben, denke ich, und schüttle den kleinen Rest gekränkter Eitelkeit von mir ab.

Ich habe nicht viel übrig für Menschen, die ihre Macht derart zur Schau stellen müssen. Ich kenne durchaus (auch männliche!) Führungskräfte, die auf solches Machtgehabe verzichten können, weil sie genügend Charisma haben und mit ihrer Persönlichkeit punkten.

Dennoch überlege ich bei der Rückkehr in mein Büro, ob ich mir nicht auch etwas von den Machtmenschen abschauen sollte. Kann es denn schaden, wenn man da und dort ein Zeichen der Macht setzt und gelegentlich machttechnische Kunstgriffe in der Kommunikation anwendet? Oder wenn man ein paar Insignien der Macht zur Schau stellt, die schon wirken, bevor man als Person ins Bild kommt? Wahrscheinlich erleichtern sie einem das Leben, besonders als weibliche Führungskraft. 

Ich nehme mir vor, darüber nachzudenken.

Tipp der Mentorin:

Ein bisschen Machtgehabe kann insbesondere weiblichen Führungskräften nicht schaden. Mehr dazu in einem späteren Eintrag.