Das Streben nach Macht und Kontrolle scheint eine Komponente des menschlichen Selbsterhaltungstriebs zu sein. Das Ausmaß, in dem Menschen nach Macht gieren, hängt wohl weitgehend von ihrer psychologischen Disposition und von ihren biographischen Erfahrungen ab. Ich habe einmal einen Neunjährigen voll Überzeugung sagen hören, dass man doch ständig kämpfen muss um nicht unterzugehen. Zum Glück ist nicht jede/r so gepolt, aber wir alle sind bestrebt, unsere Position zu halten, sei es beruflich, sei es privat. Dazu gehört Macht.  

Wir alle streben nach Macht

Nicht nur einzelne Menschen, auch Unternehmen, Institutionen und Staaten sind ständig bestrebt, ihre Macht zu erhalten und wenn möglich auszuweiten.

Die „Idealist:innen“

Die Motive und Ziele unterscheiden sich je nach Mentalität bzw. Wirkungsbereich. Es gibt Menschen, die Macht haben wollen um etwas aufzubauen oder zu gestalten. Sie wissen, dass ihre guten Ideen ohne Macht in der Schublade verschwinden und streben daher nach einer Stellung, in der sie die Möglichkeiten haben, sie umzusetzen. Oft nennt man solche Leute „Idealisten“, und man findet sie vielfach in Bereichen, die sich der Verbesserung der gesellschaftlichen Umstände verschrieben haben.

Die Machttechniker:innen

Dann wiederum gibt es Menschen, denen es nicht um Inhalte oder um Sachziele geht, sondern hauptsächlich um Einfluss und um Macht, vor allem um der Macht willen. Solche Leute verstehen unter „Karriere“ die Erlangung bestimmter Positionen. „Wenn ich eine Ledergarnitur im Büro habe und eine blonde Sekretärin, die mir den Kaffee bringt, dann weiß ich, dass ich es geschafft habe“, habe ich einmal einen solchen Machttechniker sagen hören, und ich habe viele andere kennengelernt, die sich die Karriereleiter allein mit dem Ziel hochhangelten, ganz oben anzukommen. In welcher Firma, in welcher Institution, oder in welcher Branche dies gelingen sollte, war für sie nebensächlich.

Macht-Blender

Insbesondere in der Politik, aber auch im Geschäftsleben tauchen immer wieder bestimmte Blender-Figuren auf, die sich als begnadete Machttechniker erweisen. Mit ihrer Gefolgschaft, die ihnen blind ergeben ist, errichten sie ein Machtkonstrukt, das sie für eine Weile mit Glanz und Gloria aufrechterhalten. Bricht es dann wie ein Kartenhaus zusammen, und liegen die Komponenten der Machtstruktur offen vor uns, fragt sich alle Welt, wie das so lange hat funktionieren können. Dann ertönt der Ruf nach nüchternen Fachleuten, doch nach einiger Zeit ist alles vergessen, und die bewährten Machtmechanismen wirken auch beim nächsten Mal wieder.

Gibt es ein „Macht-Gen“?

Mit Staunen habe ich im Laufe meiner Karriere beobachtet, dass manche Menschen die Fähigkeit zum Überblicken von Machtstrukturen quasi mit der Muttermilch eingesogen zu haben scheinen. Sie verfügen über ein ausgeprägtes Gespür für die Mechanismen der Machterlangung und Machterhaltung, und haben einen sicheren Instinkt für die Züge, die es im richtigen Moment zu tätigen bzw. auf die es rechtzeitig aufzuspringen gilt. Sie verstehen viel vom Netzwerken, erkennen sofort, wo ihre Vorteile liegen, und haben keinerlei Skrupel, diese sofort zu nutzen. Dabei handeln sie nicht immer edel. Nicht wenige von ihnen kennen im Zweifelsfall Mittel und Worte, um die Umgebung hinters Licht zu führen, einzuschüchtern und die eigene Macht abzusichern. Und tatsächlich sind jene, die die Kunst der Machttechnik am besten beherrschen, oft dieselben, die fachlich wenig vorzuweisen haben. Sie sind auf Machtspiele angewiesen, wenn sie Karriere machen wollen.

Woher der Machtinstinkt kommt, hat sich mir noch nicht erschlossen, denn ich gehöre nicht zu dieser Spezies, die immer genau weiß, wer in der Hierarchie wo steht, an wen man sich zu wenden, wen man an seine Seite zu ziehen hat, und so weiter. Wie viele naive Anfänger habe auch ich lange geglaubt, dass sich Erfolg allein durch Einsatz, Fleiß und fachliche Leistung einstellen wird. Manche, die so ticken wie ich einst, werden irgendwann in ihrer Karriere unsanft auf die Erkenntnis gestoßen, dass Macht mitunter wichtiger ist als Können, etwa dann, wenn sie, obwohl fachlich bei weitem besser qualifiziert, bei der Beförderung jemandem Platz machen müssen, der zwar nicht viel vom Fach versteht, jedoch genau weiß, wie man die Strippen zieht.

Mir hat erst ein Seminar bei einer Expertin für Machtfragen die Augen geöffnet. Danach habe ich angefangen, über Macht als Einflussfaktor aufs betriebliche Geschehen nachzudenken und zu beobachten, wie Macht sich im Alltag manifestiert. Es war, wenn sich ein Schleier gelüftet hätte. Auf einmal habe ich wahrgenommen, was ich nie bemerkt hatte, was aber immer schon da gewesen war.

Mittlerweile weiß ich, dass der Faktor Macht niemals unterschätzt werden sollte, will man beruflich weiterkommen. Strebt man eine Führungsposition an, so ist es wichtig, sich die Machtverhältnisse vor Augen zu führen und sich – zum Beispiel durch strategisch klugen Netzwerkaufbau – die nötige Unterstützung zu sichern.

Nimmt man Langfristigkeit und Nachhaltigkeit als Maßstab, dann sind meiner Erfahrung nach jene Führungskräfte die erfolgreichsten, die fachlich unantastbar sind, die aber auch Machttechniken beherrschen und dem Faktor Macht die gebührende Aufmerksamkeit schenken.

Macht und Abhängigkeiten

Machterringung und Machterhaltung sind oft eng verbunden mit dem Schaffen von Abhängigkeiten. In einem Machtgefüge schulden sich die Menschen meist gegenseitig so einiges, das im Bedarfsfall eingefordert werden kann. Dabei muss es sich keineswegs um das Wissen um persönliche Schwächen oder halb illegale Machenschaften handeln, es reicht oft schon die Tatsache, man mal jemandem einen Gefallen getan hat, den man nun zurückgezahlt haben will. Eine Hand wäscht die andere, und dies systematisch.

Macht erringt man auch durch Zugehörigkeit zu einem Netzwerk, beispielsweise einer Gesinnungsgemeinschaft oder eines mehr oder weniger geheimen Bunds, der zu dem Zwecke besteht, seine Mitglieder in Positionen zu hieven.

Wer sich in diese Themen vertiefen will, sei an Berater:innen verwiesen, die Spezialisten dafür sind.

Marktmacht – wie weit kann sie ausgereizt werden?

Ist man einmal oben angelangt, geht die Stellung meist mit viel Macht einher. Das gilt für Individuen, die einen großen Konzern oder eine Institution führen, ebenso wie für Unternehmen, die eine Marktstellung nahe am Monopol erobert haben.  

Ist es immer ratsam, Macht bis zur Neige auszureizen?

In unserer Gesellschaft sorgt der Rechtsstaat dafür, dass Macht eingegrenzt wird und nicht willkürlich missbraucht werden kann. Im täglichen Handeln sollte der gesunde Menschenverstand bei der Einschätzung behilflich sein, ob man den Machtrausch gegenüber einem Partner, mit dem man längerfristig Geschäfte machen will, wirklich immer bis zum Äußersten ausleben soll, nur weil sich gerade die Gelegenheit ergibt.

Erst kürzlich habe ich, in vergleichsweise kleinem Rahmen, beobachtet, wie kompromisslose unternehmerische Machtpolitik auch mal nach hinten los gehen kann: Auf einer Branchenfeier warf eine nicht sehr mächtige Auftragnehmerin dem Chef einer großen Firma vor, für ihre Entwürfe, die sie für gemeinsame Projekteinreichungen anfertigt, nichts zu bezahlen. Dem Chef war es vor seinen Branchenkollegen sichtlich peinlich. „Das ist Marktmacht“, murmelte er verlegen und versank, als ihn alle, die neben ihm standen, indigniert ansahen, fast in den Erdboden. Tatsächlich geht es dabei um Beträge, die für das Unternehmen lächerlich gering sind, für die Auftragnehmerin jedoch eine Frage der Existenz sein können. Der Chef hatte, wahrscheinlich gewohnheitsmäßig, versucht, für sein Unternehmen herauszuholen, was möglich war. Seit seine Praxis auf diese Art publik wurde, gilt er in der Branche als „Ausbeuter“ und erlitt mit seiner Firma einen Imageschaden, der zweifellos höher zu bewerten ist als das kleine Honorar, das er sich durch das Ausreizen seiner Marktmacht erspart hat.

Einmal mächtig – immer mächtig?

Ich will noch auf eine interessante Beobachtung eingehen, die ich im Zusammenhang mit Macht öfters gemacht habe.

Immer wieder habe ich darüber gestaunt, dass sich Führungskräfte an der Spitze einer Organisation oder eines Unternehmens halten, auch wenn ihrer Umgebung alle, einschließlich jener, die für ihre Bestellung verantwortlich waren, der Ansicht sind, dass diese Führungskraft für den Job doch nicht ausreichend qualifiziert oder im höchsten Maße sozial inkompetent ist, dass sie mit einem Wort eine Fehlbesetzung darstellt. Die wenigsten dieser “Nieten” werden jedoch von ihrem Posten entfernt. Während jede Reinigungskraft entlassen wird, wenn sie nicht ordentlich putzt, bleiben Chef:innen, die ihre Aufgaben nicht erfüllen, dennoch an ihrer Position.

Ich habe oft über dieses Phänomen nachgedacht und folgende mögliche Gründe dafür gefunden:

Aufgrund der hierarchischen Strukturen und aufgrund des Beharrungsvermögens institutioneller Gefüge ist das Betreiben des Sturzes einer Führungskraft stets mit viel Risiko verbunden. Es ist wie in der Politik: Gelingt der „Putsch“, ist man der Held/die Heldin, misslingt er, begeht man „Verrat“ und wird vernichtet. Angesichts dieser Umstände ist es verständlich, dass man es sich dreimal überlegt, bevor man sich an sich an eine Unternehmung wie den „Sturz des Tyrannen“ wagt. Will man sie dennoch in Angriff nehmen, sollte man sich vorher ein genaues Bild machen und sich nicht von der Erkenntnis überraschen lassen, dass die Zielperson, über die alle lästern und schimpfen, dennoch in der Machtstruktur fest verankert ist, und über viel (unsichtbare) „Hausmacht“ verfügt.

Überdies fällt es den zuständigen Gremien, also beispielsweise den Aufsichtsräten, wahrscheinlich schwer, eine Entscheidung, die sie selbst getroffen haben, zu revidieren, denn niemand gibt gerne öffentlich zu, sich geirrt zu haben. Das Auswechseln einer Führungskraft ist auch meist aufwändig, und kann je nach Vertrag eine Menge Geld kosten. Bevor sich Aufsichtsräte so etwas antun, belassen sie meist die Dinge lieber so wie sie sind und finden sich mit dem suboptimalen Zustand ab. Ein anderer Grund dafür, eine unfähige Führungskraft an ihrer Position zu belassen, mag die Tatsache sein, dass diese Person über viel interne Informationen verfügt, die man nicht nach außen dringen lassen möchte, oder dass sie über andere Beteiligte „zu viel weiß“, oder dass irgendein Schulverhältnis besteht. 

Wenn man Führungskräfte wirklich loswerden will, „lobt“ man sie daher am besten weg – in andere, meist sogar höhere Positionen. Dann ist er/sie „hinaufgefallen“, wie es so treffend heißt, und andere haben das Problem.

Wer wird aus seiner Machtposition gestürzt?

In meiner langen Berufslaufbahn habe ich nur wenige Menschen in Spitzenpositionen stürzen sehen. Abgesehen von Politiker:innen, bei denen dies ja quasi zu den normalen Job-Risiken gehört, waren es, wenn es doch geschah, vor allem naive Fachleute, die eher zufällig in die Führungsposition gelangt waren und sich im Ränkespiel der Macht nicht zurechtfanden, oder arrogante Narzissten ohne Hausmacht, die nicht mitbekamen, dass jemand an ihrem Sessel sägte. Gemeinsam war ihnen, die (ohne sich etwas Kriminelles zu Schulde kommen zu lassen) ihre Posten schließlich räumen mussten, dass sie zu wenig auf die Absicherung ihrer Machtposition geachtet und keine schützenden Hände bzw. keine mächtige Lobby hinter sich hatten.

Geschlechtsspezifische Aspekte von Macht

Neben anderem hat das Thema Macht, wie fast alles in unserem Leben, auch eine geschlechtsspezifische Komponente. Frauen zeigen mitunter ein anderes Machtverhalten als Männer und sind auch meist weitaus zurückhaltender bei der Zurschaustellung ihrer Machtposition. Das mag biographische Gründe haben und beispielsweise anerzogener Bescheidenheit geschuldet sein. Es ist aber auch eine Tatsache, dass Macht bei Männern und Frauen unterschiedlich beurteilt wird. Ein mächtiger Mann ist anerkannt und wird, ungeachtet seines Alters oder Aussehens auch als Mann attraktiv wahrgenommen, während mächtige Frauen nicht nur für die meisten Männer zum Fürchten sind, sondern Gefahr laufen – befeuert durch soziale Medien – mit sexualisierten Beleidigungen, Hass und Angriffen auf ihre Person konfrontiert zu werden. 

Als weibliche Führungskraft ist man daher zuweilen geneigt, die eigene Macht herunterzuspielen. Und manchmal vergessen insbesondere wir Frauen in Führungspositionen, wie mächtig wir tatsächlich sind. Wir mühen uns in der täglichen Tretmühle ab, betätigen und von früh bis spät als Troubleshooter, haben das Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen und fühlen uns manchmal ziemlich ohnmächtig. Tatsächlich hat unsere Macht ihre Grenzen – und nicht nur, weil es Aufsichtsorgane, unvorhersehbare Marktentwicklungen, oder Einrichtungen wie einen Betriebsrat und Gewerkschaften gibt. Doch im Vergleich zu allen anderen Mitarbeiter:innen sind wir als Führungskraft nicht nur formal mächtig. Auch das Wort der Chefin zählt doppelt, und dies gilt insbesondere für Krisensituationen. Wir sollten uns dessen – im Guten und im weniger Guten – stets bewusst bleiben.