Jedes Unternehmen rühmt sich seiner besonderen Unternehmenskultur. Zu den formalen Aspekten, insbesondere in größeren Betrieben, gehören meist ein Leitbild und die sogenannte „Corporate Identity“.
Eine einheitliche und distinguierte Corporate Identity soll dafür sorgen, dass das Unternehmen als einzigartig wahrgenommen wird. Sie dient auch der Identitätsbildung der Mitarbeiter:innen, die stolz darauf sein sollen, dem Unternehmen anzugehören.
Corporate Identity soll die Einzigartigkeit einer Firma abbilden
Die Corporate Identity umfasst alle Kennzeichen der „Identität“ eines Unternehmens, vom durchdesignten Erscheinungsbild und einem unverkennbaren Logo, über Standards, die den Umgang der Belegschaft untereinander und mit Kund:innen festlegen, bis hin zum Auftreten in der Öffentlichkeit, beispielsweise bei Firmenfeiern oder als Sponsor sozialer und sportlicher Events.
Die Corporate Identity kann sich im Kleidungsstil der Mitarbeiter:innen, im Sonderfall in einer Uniform (man denke an Fluggesellschaften) ausdrücken. Sie kann enthalten, dass man einander im ganzen Unternehmen duzt, sowohl über die Hierarchieebenen hinweg als auch mit der Kundschaft. Sie kann gesellschaftspolitische Statements transportieren, wie etwa ein Bekenntnis zur Inklusion von Menschen mit besonderen Bedürfnissen oder zu einer breit gefächerten Altersstruktur, einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis bis in die Führungsebenen, oder zu Diversity im Hinblick auf Angehörigen ethnische Gruppen.
Unterschiedliche Corporate Identity in derselben Branche
Die Corporate Identity von Unternehmen derselben Branche kann tatsächlich sehr unterschiedlich sein, je nachdem, ob sie sich etwa soliden Standardprodukten verschrieben haben, oder aber nach neuen Ansätzen oder Betätigungsfeldern suchen; ob sie mit ihrem Angebot eher Kundschaft im großstädtischen Umfeld oder in ländlichen Gebieten ansprechen wollen; ob sie international ausgerichtet sind, und dergleichen mehr. Auf die Corporate Identity haben Führungspersönlichkeiten oft mehr Einfluss als auf andere Bereiche, und nicht nur, weil sie ja selbst mit ihrem Auftreten das Unternehmen repräsentieren und dadurch das Bild des Unternehmens mitprägen.
Nicht selten fallen solche Unterschiede bei größeren Feiern zu Firmenjubiläen ins Auge: Während die einen ihre Feste im urbanen Ambiente einer umgebauten Fabrikhalle mit künstlerischem Flair, mit internationalem Fingerfood und hochkarätigen Jazzeinlagen ausrichten, wird bei den anderen in einem Landgasthaus gefeiert, bei bodenständiger Kost, Blasmusik und dem Segen des Pfarrers.
Das Leitbild: ein Verhaltenscodex als Referenz
Im Leitbild ist das Wertegerüst, in dessen Rahmen sich das Unternehmen einbettet, schriftlich festgehalten. Es dient zur Positionsbestimmungen nach innen und nach außen und umfasst gesellschaftspolitische und humanistische Grundsätze, nach denen das Unternehmen handelt.
Leitbild-Erarbeitung mit den Mitarbeiter:innen
Im Idealfall ist die Belegschaft in die Erarbeitung des Leitbildes eingebunden.
In meiner Firma hat man das Leitbild im Rahmen von moderierten Workshops erarbeitet. Vom Festlegen der Eckpunkte bis zum Feilen an den Texten waren alle Mitarbeiter:innen beteiligt. Ein solcher Prozess ist naturgemäß etwas mühsam. Er macht sich jedoch durch Akzeptanz und Verbindlichkeit bezahlt.
„Das steht im Leitbild…!“
Die Fertigstellung wurde mit einem Fest begangen. Natürlich war die Belegschaft zunächst recht skeptisch, was den Grad der Übereinstimmung der realen Firmenkultur mit dem noblen Leitbild betraf. Die Mitarbeiter:innen fragten sich zum Beispiel, ob der aufbrausende Chef nun plötzlich so höflich und respektvoll auftreten würde, wie dies im Leitbild als Standard für alle festgelegt worden war. Tatsächlich tat er dies zwar weiterhin nicht immer, doch immerhin bot das Leitbild nun die Referenz, auf die man sich berufen konnte. „Es steht im Leitbild…“, war der mahnende Satz, den man in den Folgejahren oft hören konnte, und der langfristig ohne Zweifel seine positiven Wirkungen zeitigte.
Corporate Identity: Selbstbild vs. Fremdbild
Interessant ist die Frage, inwieweit es einem Unternehmen gelingt, sein Selbstbild, also seine Corporate Identity, mit dem Fremdbild, dem Corporate Image, in Übereinstimmung zu bringen. Meiner Beobachtung nach ist dies oft leichter zu bewerkstelligen als man in der eigenen Besorgtheit vermutet: während man das eigene Unternehmen oder die eigene Abteilung in der Hitze des Alltagsgeschäfts manchmal verzweifelt als chaotischen Haufen wahrnimmt, in dem nichts, aber auch gar nichts ordentlich funktioniert, sehen zu unserer großen Überraschung Außenstehende unsere Firma als effizient und erfolgreich an – was sie ja tatsächlich auch ist. Fast alle von uns kennen dieses Phänomen, das etwa bei Nachbesprechungen von Veranstaltungen zutage tritt, bei denen man selbst nur Fehler gesehen hat (die Garderobieren zu langsam, die Moderation zu lahm, die Musik zu laut, das Essen zu spät, usw.), während das Publikum von den kleinen Faux pas nicht das Geringste bemerkt und sich bestens amüsiert hat, und die Veranstaltung als äußerst gelungen in Erinnerung behält.
Ungeschriebene Alltagskultur
Zur Unternehmenskultur gehören neben den formell festgeschriebenen Verhaltensregeln auch noch zahlreiche informelle Aspekte des betrieblichen Alltags. Werden Geburtstage der Mitarbeiter:innen gefeiert, und wenn ja, was wird dabei von den Kolleg:innen bzw. von den Führungskräften erwartet? Darf in der Firma geraucht werden, und wenn ja, in welchen Räumlichkeiten? Ist es in Ordnung, einem Kollegen/einer Mitarbeiterin am Sonntag ein Mail zu schicken, weil einem plötzlich etwas unter der Dusche etwas Geniales eingefallen ist, oder ist dies ein No-Go und muss bis Montag warten? Und so weiter.
Ist man in einem Unternehmen neu, tut man gut daran, sich nach Usancen zu erkundigen und die informelle Unternehmenskultur eine Weile zu beobachten. Tut man dies nicht, tritt man nur allzu leicht in Fettnäpfchen. Ich habe da einmal eine ernüchternde Erfahrung gemacht, als ich den rauen Ton, der an meinen vorigen Arbeitsplatz geherrscht hatte, auch in der neuen Firma anwandte, und damit die neuen, weniger humorvollen Kollegen ordentlich vor den Kopf stieß. Seither habe ich immer zuerst eine Weile beobachtet, um die Usancen meiner neuen Umgebung kennenzulernen und den richtigen Ton zu treffen.
Subkulturen im Unternehmen
Schließlich haben einzelne Einheiten innerhalb des Unternehmens meist auch noch ihre eigenen „Subkulturen“. Da holt täglich ein/e andere/r Mitarbeiter:in das Mittagessen für alle, man drückt ein Auge zu und vermerkt es nicht in der Anwesenheitsaufzeichnung, wenn mal jemand zu spät kommt, man erlässt Kund:innen, die eine Frist versäumt haben, eine Strafzahlung – sprich, man schafft sich gemeinsam eine Reihe kleiner Unsancen, die sich irgendwann so sehr eingespielt haben, dass sich die Beteiligten gar nichts anderes mehr vorstellen können.
Erst wenn neue Mitarbeiter:innen dazukommen, die den Blick von außen mitbringen und noch nicht „betriebsblind“ sind, werden solche eingefahrenen Routinen im Unternehmen manchmal aufgerüttelt und vielleicht auch mal kritisch hinterfragt. Dies muss gar nicht mit Absicht des/der Neuen geschehen, etwas zu verändern. Allein die Tatsache, dass jemand Neuem eine Gewohnheit erklärt werden muss, kann sie wieder ins Bewusstsein rücken und zu ihrer Neubewertung führen.
Das Arbeitsmilieu prägt auch die individuelle „Identity“
Man kann in der gesamten Arbeitswelt beobachten, dass das Milieu, in dem jemand arbeitet, mit der Zeit dessen/deren individuellen Kleidungsstil, sein/ihr Auftreten, seine/ihre Sichtweisen und schließlich auch die Persönlichkeit des/der Betroffenen mitprägt. Die Corporate Identity eines Unternehmens färbt somit auf die Mitarbeiter:innen ab. Je länger jemand in einer Branche und bei einem bestimmten Unternehmen arbeitet, desto stärker beeinflusst die dort vorherrschende Kultur mit ihren Wertvorstellungen, ihrem Jargon, ihren Ritualen und ihren Äußerlichkeiten das Verhalten und das Denken der Menschen. Bewusst wird einem dies meist erst, wenn man in ein anderes Unternehmen oder gar in eine andere Branche wechselt, in der plötzlich alles ganz anders ist.
Auf die Corporate Identity des Unternehmens, in dem ich nun arbeite, bin ich stolz. Ich kannte das Unternehmen schon lange bevor ich als Geschäftsführerin angeheuert wurde, und hatte es immer als überdurchschnittlich kreativ, innovativ und flexibel wahrgenommen. Damit dies auch so bleibt, arbeiten wir ständig am Leitbild und am Image weiter und sind bestrebt, in unserer täglichen Arbeit und unseren Projekten möglichst nah an unseren eigenen Vorgaben und Ansprüchen zu bleiben.