Ein interessantes Instrument der Personalführung ist das sogenannte „Mitarbeiter:innen-Gespräch“, abgekürzt „MAG“.

Die Mentorin berichtet:

In meinem neuen Unternehmen gibt es eine Personalabteilung für die administrativen Belange des Personalwesens. Die oberste Zuständigkeit für die Agenden, die die Belegschaft betreffen, liegt bei mir. Ich entscheide über Personalaufnahmen, Versetzungen, Kündigungen, aber auch über Qualifizierungsmaßnahmen. Folgerichtig bin ich im Vorstand die erste Ansprechperson für den Betriebsrat.
 
Einführung von Mitarbeiter:innen-Gesprächen

Als eine der ersten Maßnahmen führe ich Mitarbeiter:innen-Gespräche (abgekürzt: „MAG“) ein. Regelmäßige, strukturierte Gespräche zwischen Mitarbeiter:innen und Vorgesetzten dienen, wenn sie fair geführt und in beiderseitigem Einvernehmen protokolliert werden, der Standortbestimmung von Mitarbeiter:innen im Unternehmen und bilden eine solide Grundlage für neue Vereinbarungen – sei es im Hinblick auf zu erbringende Leistungen und/oder auf Karriereziele, oder auf spezielle Arbeitszeitarrangements, auf gewünschte Weiterbildungsmaßnahmen, Sonderurlaube und dergleichen mehr.

Leitfaden für MAG

Der Betriebsrat ist mit der Einführung von MAG einverstanden, die Vorstandskollegen auch. Für Mitarbeitergespräche gibt es im Internet und bei den Interessenvertretungen der Arbeitnehmer:innen zahlreiche Leitfaden, die man fürs eigene Unternehmen adaptieren und zur Anwendung bringen kann. Ich setze mich mit dem Betriebsrat zusammen um aus den vorhandenen Mustern einen für unser Unternehmen geeigneten Leitfaden zu entwerfen. Dann unterzeichnen wir eine entsprechende Betriebsvereinbarung, und kommunizieren gemeinsam das Vorhaben in einer eigens dafür einberufenen Betriebsversammlung.

Nach unserer gemeinsamen Präsentation beobachte ich amüsiert, wie sich Trauben von Mitarbeiter:innen, denen die Skepsis ins Gesicht geschrieben steht, um die Betriebsrät:innen scharen. Alle wollen wissen, was es mit der Neuerung auf sich hat. Ich habe meinen Teil erledigt, verabschiede mich rasch und überlasse es den Belegschaftsvertreter:innen, den Sinn und Zweck von MAG näher zu erläutern und die bangen Fragen zu beantworten.

Wer führt das MAG mit wem?

MAG werden üblicherweise mit dem oder der direkten Vorgesetzten geführt, und so wollen wir es in den folgenden Jahren auch halten. Nur diesmal möchte ich den Kreis meiner Gesprächspartner:innen um eine Hierarchieebene erweitern, weil ich neu im Unternehmen bin und die Mitarbeiter:innen kennenlernen will.

MAG im Kaffeehaus?

Die mutigsten melden sich als erste für Gesprächstermine an. Ich stelle zwei Örtlichkeiten zur Wahl: ein neutraler Besprechungsraum im Unternehmen oder ein benachbartes Café. Bis auf eine Mitarbeiterin entscheiden sich alle für das Café. Ein paar Wochen lang residiere ich nun fast täglich dort, jedes Mal mit einem anderen Gegenüber. Ich führe ungefähr dreißig Gespräche.

Hören zwischen den Zeilen…

Am Anfang jedes Treffens bitte ich meine Gegenüber, mir ein wenig über ihre Karriere im Unternehmen, und wenn sie wollen, über ihren gesamten beruflichen Werdegang, zu erzählen. Um die Information, die eigentlich über den üblichen Inhalt eines MAG hinausgeht, nicht ganz einseitig zu halten, zähle auch ich kurz die Stationen meiner Berufslaufbahn auf.

Die Art, wie mir meine Gesprächspartner:innen den Verlauf ihres Erwerbslebens und ihre bisherigen Positionen im Unternehmen schildern, sagt bereits viel über sie aus. Manche freuen sich über die Gelegenheit, sich der neuen Chefin zu präsentieren. Andere bleiben sparsam mit Information. Einige treten selbstsicher auf und fühlen sich sichtlich wohl, während andere eher unsicher wirken und die Sache so rasch wie möglich hinter sich bringen wollen.

Die meisten meiner Gesprächspartner:innen klingen in ihren Antworten authentisch und spontan. Ein paar haben ihren „Auftritt“ offenbar geprobt und wollen weder durch eine unerwartete Frage noch durch einen kleinen Scherz aus dem Konzept gebracht werden.

Einige der Mitarbeiter:innen holen etwas weiter aus und erwähnen ungefragt private Gegebenheiten und persönliche Interessen jenseits ihres Jobs. Eine junge Frau aus einer Migrantenfamilie erzählt, wie sie um ihre Ausbildung hatte kämpfen müssen. Ein Mitarbeiter berichtet von seiner Band, ein anderer betreibt in seiner Freizeit ein Tonstudio, und ein dritter sitzt im Vorstand eines Fußballvereins, der sich über den Sport hinaus um Jugendarbeit bemüht. Eine Mitarbeiterin leitet einen Chor, eine andere ist passionierte Tortenbäckerin. Ich erfahre von einer Mitarbeiterin, dass sie fünf Sprachen fließend spricht. Sie hat, wie einige andere, ihre Universitätsstudien abgebrochen, braucht ihre Sprachkenntnisse in der Firma nicht, legt aber dennoch viel Wert auf die Anerkennung ihrer an der Uni erworbenen Expertise. Die Mitarbeiter:innen decken ein breites Altersspektrum ab, und auch in Bezug auf die ethnische Herkunft herrscht eine bunte Mischung.

Die Gespräche gehen manchmal oft weit über die Inhalte hinaus, die für ein MAG vorgesehen sind. Im Nachhinein habe ich fast ein wenig ein schlechtes Gewissen, den Großteil der Gespräche im Kaffeehaus geführt zu haben, weil – und das wird mir erst jetzt bewusst – dort die Atmosphäre womöglich dazu beigetragen hat, gelegentlich die Grenze zwischen einem Mitarbeitergespräch und einem „Plauderstündchen“ zu verwischen.

MAG sind keine Plauderstündchen

MAG sind nämlich, unabhängig von ihrem Setting, niemals zum jovialen, privaten Plaudern gedacht. Die Gespräche beziehen sich auf die Rolle, die die Mitarbeiter:innen im Unternehmen einnehmen bzw. anstreben. In einem MAG wollen Vorgesetzte das Potenzial und die Interessenlagen der Mitarbeiter:innen ausloten, um sie mit den Interessen des Unternehmens so weit wie möglich in Übereinstimmung bringen zu können. Als Vorgesetzte ist es meine Aufgabe, die entsprechenden strukturellen Maßnahmen zu setzen und die individuelle Unterstützung bereitzustellen, die die Mitarbeiter:innen brauchen um ihre Leistung erbringen zu können. Je besser ich über die Talente und Absichten der Mitarbeiter:innen Bescheid weiß, desto eher gelingt die Feinabstimmung.

Wo sind die zukünftigen Führungskräfte?

Auf Wunsch des Aufsichtsrats halte ich im Unternehmen nach potenziellen künftigen Führungskräften Ausschau. Ich nutze die MAG für eine erste Orientierung und frage meine Gesprächspartner:innen nach ihren Karriereambitionen.

Zu meinem Erstaunen winken die meisten sofort ab und lassen mich wissen, dass sie mit ihrer aktuellen Position im Unternehmen zufrieden sind und auf keinen Fall mehr Verantwortung übernehmen wollen. Es klingt überwiegend authentisch und deckt sich mit dem Befund hinsichtlich der Verteilung der Mentalitäten in der Belegschaft, den ich in einem Eintrag vom 14.6.2023 (Mitarbeiter:innen und ihre Mentalitäten) beschrieben habe. Da und dort habe ich den Eindruck, dass nicht ganz ehrlich geantwortet wird. Vielleicht hat man gelernt, Ambitionen heimlich zu verfolgen und nicht preiszugeben, um die Konkurrenz nicht auf den Plan zu rufen?

Ein Abteilungsleiter, nicht mehr ganz jung, erklärt mir auf die Frage, ob er im Unternehmen Höheres anstrebe, lächelnd, dass er hier nur seinen Job mache und eigentlich Rockstar werden wolle. Ich lache, obwohl klar ist, dass er mich veräppelt – insbesondere da ich erfahren habe, dass er sich selbst schon mehrmals erfolglos in Stellung gebracht hat, zum Beispiel auch, als es um die Besetzung meiner Position ging. Mit seiner Aussage ist die Situation zwischen uns klar. Er will sich mit mir nicht auf eine ernsthafte, professionelle Gesprächsebene begeben und hat daher von mir keine Unterstützung seiner Karriereambitionen zu erwarten.

Ganz anders verhält sich eine Mitarbeiterin, die ein konkretes Karriereziel angibt und auch darlegt, wie sie es erreichen möchte. Ich freue mich und werde ein Auge auf sie haben und sie, wenn sie tatsächlich den Anforderungen entspricht, nach Kräften fördern.

Gegenseitige Feedbacks als Bestandteil von MAG

Meine ersten Gespräche mit den Mitarbeiter:innen dienten diesmal mehr dem Kennenlernen und machten aufgrund der kurzen Zeit, die wir miteinander arbeiten, noch keine aussagekräftigen gegenseitigen Rückmeldungen möglich. In Zukunft werden gegenseitige Feedbacks jedoch ein fixer Bestandteil von MAG sein. Auch ich will erfahren, was die Mitarbeiter:innen von mir denken und von mir erwarten, und was ich für die Zusammenarbeit verbessern kann. Die Voraussetzung für ein ernsthaftes Feedback ist das Schaffen einer Atmosphäre, die die Mitarbeiter:innen tatsächlich ermutigt, der Chefin auch mal etwas Kritisches zu sagen.

Was geschieht nach einem MAG?

Doch auch jetzt bleiben unsere MAG nicht ohne Folgen. Wir vereinbaren individuelle Arbeitszeitarrangements oder Weiterbildungsmöglichkeiten – als erste sichtbare Zeichen, dass das neue Kommunikationsformat keine lästige Pflichtübung ist, sondern Potenziale eröffnet, die es zu nutzen gilt.

Die Eckpunkte des MAG werden in einem gemeinsam verfassten Protokoll festgehalten, das niemand außer den beiden Gesprächspartner:innen zu sehen bekommt, und das in einem Jahr, beim nächsten MAG, als Grundlage für die Einschätzung dienen wird, in welchem Maße beide Seiten die gesetzten Ziele erreicht haben.

MAG als Weichenstellung für die Karriere

Ich habe nun einiges über die Menschen erfahren, mit denen ich in den nächsten Jahren den Berufsalltag teilen werde. Wie bei allen Dialogen lag Information nicht nur in ausdrücklich Gesagtem, sondern auch in Zwischentönen und nonverbalen Botschaften. Ich weiß nun schon ziemlich genau, wen aus der Belegschaft ich mir in Zukunft als Führungskraft vorstellen kann, und wen ich entsprechend fördern werde.

Tipp der Mentorin:

Mein Tipp richtet sich diesmal vor allem an Mitarbeiter:innen. Sie sollten sich dessen klar bewusst sein, dass ein MAG großen Einfluss für den eigenen Karriereweg haben kann, besonders dann, wenn man sonst nicht viel Gelegenheit hat, sich den Vorgesetzten zu präsentieren. Eine geschickte und professionell getroffene Aussage im Rahmen eines MAG kann wichtige Weichen zum beruflichen Aufstieg stellen. Wenn die Botschaft ankommt, nehmen einen die Vorgesetzten vielleicht unter ihre „Flügel“ und werden zu wertvollen Förderern und Mentor:innen.