Zu gutem Stil gehört es, sich für das Berufsleben angemessen zu kleiden.
Für Männer in Führungspositionen ist dies vergleichsweise einfach. Maßanzug in Schwarz, Grau oder Dunkelblau, Hemd, Krawatte, passende Schuhe – und fertig ist der Business-Mann. Für Frauen ist die Kleidung hingegen ein heikles Terrain. Natürlich können sie auch Tag für Tag in Kostüm oder Hosenanzug auftreten und sich in die Riege der uniformierten Männer einreihen. Im Zweifelsfall, so nehme ich eine meiner Schlussfolgerungen dieses Eintrags gleich mal vorweg, ist dies auf dem Weg zur Karriere auch die bessere Wahl als so manches Experiment mit der Mode. Doch die wenigsten Frauen wollen Tag für Tag in farbloser Uniform daherkommen.
Was ziehe ich an?
Frauen stehen weltweit bereits seit einigen Jahrzehnten in zunehmender Zahl im Berufsleben, und so sollte es, so möchte man meinen, doch längst einen anerkannten weiblichen Business-Dresscode geben. Wenn es ihn gibt (und es gibt ihn natürlich!), dann wird er aber noch weitgehend im Geheimen gehandelt. Wie sonst wären die abenteuerlichen, alles andere als Business-gerechten Aufmachungen, denen man im Geschäftsalltag immer wieder begegnet, zu erklären?
Die Chefin als Paradiesvogel
Da tritt etwa eine der wichtigsten Führungskräfte einer großen Verwaltungsbehörde in schwarz-rotem Rüschenkleid wie eine Flamencotänzerin ans Rednerpodium und empfängt anderntags einen ausländischen Minister in einer grasgrünen Schnürlsamthose und weit ausgeschnittenem, rotem Oberteil. Da steht eine ernst dreinblickende Geschäftsführerin mittleren Alters in einem hautengen Jerseykleid, unter dem sich so allerhand abzeichnet, ziemlich verkrampft am Buffet eines festlichen Empfangs. Eine, sehr hübsche, aber auch bereits in die Jahre gekommene Frau in Leitungsposition stöckelt in hochhackigen Schuhen übervorsichtig und dadurch ziemlich tollpatschig durch den Raum und tippt, sobald sie ihren Platz gefunden hat, mit ihren überlangen, knallrot lackierten Krallen Nachrichten ins Handy. Im Büro steht die Technikerin in einem knappen Sommerfähnchen, das an ein Nachthemd erinnert, vor ihrem Kollegen und ärgert sich, dass der auf ihren freizügig zur Schau gestellten Körper starrt, statt ihren Argumenten zu folgen. In der Bürositzung sieht man an heißen Sommertagen halbnackte Busen und unter den Tischen eine Reihe bis an die Oberschenkel entblößte Beine.
Ob es wohl möglich ist, in solchen Outfits Kompetenz zu vermitteln und Autorität auszustrahlen?
Für viele Frauen, und insbesondere für jene, die in ihrer Position keine weiblichen Vorbilder hatten, ist es nicht so einfach mit der Business-Garderobe. Ist eine Frau jung, will sie ihre Reize nicht unter mausgrauem Stoff verstecken. Ist sie an Mode interessiert, widerstrebt es ihr, die Business-„Uniform“ zu tragen. Zählt sie sich zur Avantgarde, sucht sie sowieso nach einem eigenen Stil. Wird die Frau älter, möchte sie dennoch nicht als Matrone daherkommen. Die Auswahl an hübscher Kleidung ist heutzutage schier unüberschaubar, und laut Modemagazinen gibt es kaum noch Regeln. Anything goes ist das neue Motto, und das stellt uns alle vor ein Dilemma. Was ist angemessen? Welchen Stil sollen wir für uns wählen?
Frauen stehen unter Dauerbeobachtung und weibliche Führungskräfte ganz besonders
Frauen stehen, was ihr Aussehen betrifft, stets unter Beobachtung. Auf prominente Frauen sind von früh bis spät Hunderte, Tausende oder Millionen kritischer Augen gerichtet. Nicht nur die Outfits der weiblichen Angehörigen von Königshäusern interessieren die Öffentlichkeit. Auch die Aufmachung hochrangiger Politikerinnen wie einst Angela Merkel oder Hillary Clinton oder heutzutage Ursula von der Leyen oder Annalena Baerbock unterliegt permanent der unerbittlichen Beurteilung. Was wurde über die Figur, Frisur oder die Kostüme dieser Frauen nicht schon öffentlich gelästert!
Und nicht nur bekannte Frauen stehen in der Auslage, sondern alle Frauen im Berufsleben, sobald sie sich durch ihre Position ein wenig aus der Masse abheben. Man sieht Frauen anders an als Männer, und wer dies in Abrede stellen will, beobachte sich einmal selber: Wohin wandern die Blicke, wenn eine Frau auf einer beruflichen Bühne steht – am Flipchart, im Lehrsaal, auf einem Podium? Jede/r Einzelne im Publikum, so behaupte ich, betrachtet die Details ihrer Erscheinung, von Kleidung und Frisur bis zu den Gesten, während sie im besten Fall die Quintessenz dessen mitbekommen, was die Vortragende sagt. Vor dem Hintergrund dieser Tatsachen ist es nicht nur ratsam, sondern notwendig, der Aufmachung bei jedem öffentlichen Auftritt großes Augenmerk zu schenken. Die Kleidung sollte am besten so gewählt werden, dass sie zum Anlass passt, dass man sich selber in ihr wohl fühlt, und dass man mit ihr die Botschaft transportiert, die man rüberbringen will. Man sollte sich so kleiden, wie man selbst vom Publikum wahrgenommen werden möchte. Das ist, zugegeben, nicht immer einfach.
Wie will ich wahrgenommen werden?
Ich persönlich habe mich in jungen Jahren, dem damaligen Zeitgeist und meinem Tätigkeitsfeld an der Universität entsprechend, mehr auf meine Arbeit konzentriert als auf meine Aufmachung. Kleidung sei unwichtig, dachte ich, und wie viele andere feministisch bewusste Frauen meiner Generation habe ich die Art Konkurrenzkampf, die über die Schönheit geführt wird, bewusst verweigert. Ich hatte im Übrigen auch keine Lust, viel Geld für gediegene Kleidung auszugeben. Und Role Models oder zumindest jemanden, der/die mich wohlwollend beraten hätte, hatte ich schon gar nicht. Also unterrichtete ich jahrelang in Jeans, T-Shirt und Schlabberpulli.
In meinen Dreißigern, als der Zeitgeist längst etwas anderes diktierte, und ich erstmals Lust bekam, mein Aussehen durch entsprechendes Gewand zu unterstreichen, holte ich innerhalb kurzer Zeit alles nach, was ich in jungen Jahren versäumt hatte. Nun trug ich die höchsten Stöckelschuhe, die kürzesten Röcke und die offenherzigsten Dekolletees meines Lebens, auch im Job.
Da ich mir damit aber selbst nicht ganz geheuer war, hörte ich damit bald wieder auf und wandte mich an eine Stilberaterin. Das war eine gute Entscheidung, denn diese verhalf mir mit einem Schlag zur wesentlichen Erkenntnis in Sachen Business-Dress-Code:
Die Beraterin stellte mich so, wie ich zu ihr gekommen war, vor den Spiegel und forderte mich auf, das, was ich sah, aus der Sicht eines oder einer Fremden zu beschreiben. Was ist das für eine Person, die der Fremde hier sieht? wollte sie wissen. Als ich ratlos die Achsel zuckte, sagte sie selbst, was sie sah: Einen kurzen, engen Rock mit Glitzerfäden, der sehr gut in eine Disco passe; hochhackige Riemchenschuhe, die kindliche Verspieltheit gepaart mit Erotik signalisierten; eine weiße Seidenbluse und eine teure Perlenkette, die einen gewissen Business-Touch vermitteln könnten, kämen sie in anderer Gesellschaft daher, und schließlich die Jeans-Jacke, die jeden Anflug von Seriosität zunichte macht und jedem Gegenüber quasi laut entgegenruft: Nehmt mich ja nicht allzu ernst!
Na und? blaffte ich. Alles Teile meiner Persönlichkeit!
So, wie Sie sich kleiden, können sich alle, die mit ihnen zu tun haben, selbst aussuchen, was sie in Ihnen sehen wollen, wo sie Sie einordnen, und wie sie Ihnen begegnen wollen, antwortete sie kühl und fragte: Wäre es nicht besser, Sie selbst definierten, in welcher Rolle Sie sich dem Gegenüber präsentieren?
Die Menschen brauchen einfache, stimmige Botschaften
Es geht bei der Business-Kleidung nicht um Dekoration, nicht um Mode, nicht um das Hervorheben weiblicher Attraktivität. Es geht einzig und allein um Signale und um subkutane Botschaften.
Tatsache ist – und das gilt nicht nur für Kleidung – dass die Menschen einfache, stimmige Botschaften brauchen. Mit Vielschichtigkeit sind die allermeisten überfordert, und innere Werte erschließen sich vielleicht nach dem zweiten oder dritten Hinsehen oder beim näheren Kennenlernen. Wollen wir so lange warten? Das entscheidende Urteil wird nach dem ersten Blick gebildet, und gleich danach landet man in einer „Schublade“. Will man in ein Fach eingereiht werden, auf dem „Macht“, „Kompetenz“, „Seriosität“ steht, dann muss man selbst dafür sorgen.
Als ich anfing, mich mit der Wissenschaft von den Signalwirkungen von Kleidung auseinanderzusetzen, taten sich für mich neue Welten auf. An mir und an anderen sah ich plötzlich bewusst, was ich vorher höchstens unterschwellig wahrgenommen hatte.
Jede Kleidung sendet eine Botschaft aus
Ich erkannte nun, dass jede Art von Kleidung eine Botschaft aussendet. Auch Hippies und Punkts haben mit ihren Outfits ausgedrückt, was sie von der Gesellschaft halten, und auch wenn es nicht so krass daherkommt, kann man Menschen anhand ihrer Kleidung ziemlich gut in ihre Gesellschaftsschicht oder ihre Berufsgruppe einordnen. Die Menschen brauchen diese Orientierung an Äußerlichkeiten, und sie haben es gern, wenn das Äußere und das Innere übereinstimmen, wenn sie sich also mit ihrem Gegenüber auskennen. Durch äußeres „Durcheinander“, wenn also beispielsweise eine sehr mächtige Frau im Girlie-Look daherkommt, erzeugt man beim Publikum Verwirrung und vielleicht sogar unterschwellige Aggression – weil es sich, zu Recht, veräppelt oder gar hinters Licht geführt fühlt.
Mit stimmigem Auftreten macht man aber nicht nur den Mitmenschen das Leben leichter, sondern definitiv auch sich selber. Im Anzug bin ich glaubwürdiger, sagte mir ein Kollege lächeln, der lange Zeit auch noch als weithin geachteter Experte in seinem Fachgebiet nur in Jeans und T-Shirt aufgetreten war. Wenn ich mit meinem Chef zu einem Termin gehe, ziehe ich immer einen Anzug an … und werde dann für den Chef gehalten, erzählte ein anderer Kollege, dessen tatsächlicher Chef auf der irrigen Meinung beharrt, seine Persönlichkeit allein spräche für ihn. Eine Geschäftsführerin, die im luftigen Sommerkleidchen neben ihrem im Anzug gewandeten Kollegen steht, wird von 99 Prozent der Menschen für dessen Assistentin gehalten, da kann man alles darauf wetten.
Kleidung verleiht Macht
Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass Menschen in formeller Kleidung – sei es eine Uniform, sei es ein Anzug – mehr Macht und Kompetenz zugesprochen wird als anderen. In einem Experiment stellte man zum Beispiel fest, dass Menschen einem Anzugträger folgten, wenn der bei Rot die Ampel überquert, während sie dies bei informell gekleideten Mitbürger:innen nicht tun. Der Anzug bzw. das Business-Kostüm verschaffen dem Träger/der Trägerin so etwas wie einen „Respektvorsprung“, und eigentlich ist es im harten Geschäftsleben wirklich nicht weise, freiwillig darauf zu verzichten.
Businessdress als „Uniform“
Die Befassung mit dem Thema Dresscode verschaffte mir viele Aha-Erlebnisse und trug dazu bei, dass ich mein Auftreten überdachte und meinen Stil radikal veränderte. Zuerst schlug das Pendel weit in die andere Richtung aus, und ich kam eine Zeitlang betont zurückhaltend und konservativ daher. Mit der Zeit lockerte ich diese „Rüstung“ ein wenig auf und achtete bei aller Formalität doch wieder auf ein wenig modischen Chic. Ich ließ meine Anzüge und Kostüme von einer Schneiderin fertigen, sodass sie perfekt saßen. Dies war letztlich nicht teurer waren als der Kauf von Konfektionsware, die man ja ohnehin auch meist ein wenig zurechtschneidern lassen muss. Den persönlichen Akzent setze ich nun mit Brille, Tüchern und dezentem Schmuck (meinen Ethno-Schmuck trage ich nur noch privat und im Urlaub). Die Absätze meiner Schuhe haben eine Höhe, die gesundheitlich verträglich ist und mir, auch im übertragenen Sinne, einen sicheren Stand bzw. Gang ermöglichen, auch wenn es mal über schlecht gepflasterte Wege geht.
Das Berufsleben ist für mich einfacher geworden seitdem ich mein Business-Outfit als eine Art von Uniform betrachte. Ich habe mittlerweile eine Handvoll Anzüge und Kostüme mit passenden Blusen im Kasten hängen und, da alles farblich aufeinander abgestimmt ist, brauche ich mir in der Früh keine großen Gedanken mehr ums Anziehen zu machen.