Bei den internen Sitzungen erlebe ich immer wieder, dass Abteilungsleiter:innen sich in die Haare geraten. Ich bemerke bald, dass die Probleme, die Unmut und Streit auslösen, immer dieselben sind. Mitarbeiter:innen der Abteilungen, die mit Kundenbetreuung und Service zu tun haben, werfen den Produktionsabteilungen vor, nicht ausreichend auf den Gebrauch der Produkte und die Wartungsnotwendigkeiten Bedacht zu nehmen. Die Verkaufsabteilung kritisiert das Marketing, das den Kund:innen gerne das Blaue vom Himmel verspricht und sich nicht darum schert, wer es „ausbaden“ muss, wenn die Werbebotschaften auf der Realität aufschlagen. Die Sachbearbeiter:innen monieren, dass sie, obwohl sie die Gegebenheiten der Praxis am besten kennen, in den Konzeptionsphasen nicht gehört werden. Und so weiter.

Und immer wieder fühlten sich Abteilungen von anderen Abteilungen nicht ausreichend informiert. Meist noch schlimmer, sie fühlten sich missachtet oder gar böswillig hintergangen.

„Euch ist doch alles wurscht! Ihr kümmert euch um nix! Immer gibt es Schwierigkeiten wegen euch!“ tönt es vorwurfsvoll, und nach der Sitzung geht man missmutig auseinander.

Böswillige Kolleg:innen oder strukturelle Kommunikationsprobleme?

Ich glaube nicht, dass hier irgendjemand bösen Willens ist, sage ich eines Tages bei einer Sitzung, in der die Wogen wieder einmal hochgehen. Wir haben vielmehr ein strukturelles Problem.

Ich stelle das als These in den Raum. Zunächst sehen mich alle verständnislos an.

Um auf neutralem Boden zu bleiben, versuche ich, die Sache mit einem Beispiel aus einer anderen Branche zu veranschaulichen:

Angenommen, ein Unternehmen baut und verwaltet Immobilien, sage ich. Da gibt es Architekten und Projektentwickler, die das Gebäude planen, Baumanager, die dessen Errichtung überwachen, eine Verkaufsabteilung, die die Übergabe an die Kundschaft abwickelt, und schließlich die Abteilungen, die das Haus verwalten und laufend technische oder administrative Leistungen für die Mieter oder Eigentümer zur Verfügung stellen.

Architektinnen und Projektentwicklerinnen haben Jahrzehnte lange Erfahrung in ihren Arbeitsbereichen, kennen ihre „Szene“, in der sie sich längst durch ihr Können profiliert haben, halten ihr Berufsethos hoch, und sind es nicht gewohnt, ihre Projekte mit fachfremden Personen zu besprechen. Sie kooperieren höchstens mit dem Baumanagement. Wozu haben sie ihr Fach schließlich studiert? Sie kennen sich aus und brauchen keine Ratschläge von außen. Wenn das Gebäude fertig ist, haben sie ihren Part erledigt und übergeben an die Hausverwaltung und das technische Service.

Die Hausverwalter:innen übernehmen nun ein Gebäude, das sie nicht kennen. Sie waren weder bei der Planung noch während der Errichtung dabei. Sie müssen sich nun in Windeseile über Details und spezielle Eigenheiten des Hauses kundig machen, denn sie sind es, die für die Behebung der kleinen Mängel, die es bei neuen Gebäuden immer gibt, zuständig sind, und sie sind nun die Ansprechpersonen für diejenigen, die das Gebäude beziehen.

Möglicherweise hat die Marketingabteilung das Projekt mit einer besonders griffigen Werbebotschaft versehen, und die Verkaufsabteilung hat gewisse Sonderausstattungen versprochen, damit die Wohn- oder Büroeinheiten rasch verwertet werden konnte. Auch davon wissen diejenigen, die das Haus nun verwalten, in der Regel nichts. Wurden die versprochenen Leistungen vom Baumanagement, etwa aus Kostengründen, doch nicht durchgeführt, bekommen nun die Mitarbeiter:innen der Hausverwaltung den Unmut der Bewohnerschaft ab. Und sind wütend auf die Entwicklerinnen und die Verkäufer.

Und so weiter.

Jede Abteilung handelt nach ihrer Logik

In arbeitsteiligen Konstellationen, wie sie in den meisten Unternehmen vorherrschen, sind Konflikte strukturell vorprogrammiert, doziere ich weiter. Jede Abteilung handelt nach ihrer Logik und tut ihr Bestes, und dennoch kollidiert sie mit einer anderen Abteilung. Warum ist das so?

Es ist doch offensichtlich, sage ich, dass die Welt für einen Service-Mitarbeiter, der tagtäglich mit Kundschaft zu tun hat, eine andere ist als für eine Buchhalterin, die im Büro vor sich hinarbeitet, oder für die technischen Entwickler:innen, die sich hauptsächlich in ihren Fachkreisen bewegen, oder für die Marketingleiterin, deren Aufgabe es vor allem ist, das Unternehmen und seine Produkte möglichst positiv in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Soziologisches „Geschwafel“ oder Chance auf eine neue Sichtweise?

Der Zweifel steht den Sitzungsteilnehmer:innen ins Gesicht geschrieben. Um meiner Argumentation zu folgen, müssen sie in ihrem beruflichen Alltag einen neuen, ungewohnten Blickwinkel einnehmen und die Welt nicht mehr nur aus der Perspektive der eigenen Abteilung betrachten, sondern aus jener des Gesamtunternehmens. Das fällt naturgemäß schwer, da alle mit ihrem Tagesgeschäft genug zu tun haben, und es nicht zu ihren Aufgaben gehört, sich darüber hinaus allzu viele Gedanken zu machen. Außerdem liegt es den Menschen psychologisch betrachtet einfach näher, „Schuldige“ zu suchen als sich in einer abstrakten, strukturellen Betrachtungsweise zu üben.

Lernen im Rotationssystem

Manch große Unternehmen haben die potenziellen Reibungsverluste, die durch strukturelles Unverständnis entstehen, erkannt und schicken ihre Mitarbeiter:innen im Rotationssystem durch sämtliche Abteilungen, wo sie jeweils ein paar Wochen oder Monate arbeiten. Dort lernen sie die Aufgaben und den Arbeitsalltag der anderen Abteilungen kennen und können dadurch Verständnis dafür entwickeln, dass zwar alle im Unternehmen dasselbe Ziel haben, aber notwendigerweise unterschiedliche Wege gehen müssen, um es zu erreichen. Durch das Rotieren befähigen sie ihre Mitarbeiter:innen, auch mal einen anderen Blickwinkel einzunehmen und schaffen dadurch insgesamt die Voraussetzung einer besseren Zusammenarbeit.

„Schnittstellen-Management“

Nachdem ich in weiteren Sitzungen wiederholt auf die strukturellen Komponenten der Konflikte hingewiesen habe, wächst nach anfänglicher Skepsis langsam das Verständnis für eine strukturelle Sichtweise. Schließlich setzen wir ein Seminar zum Thema an. Begleitet von einem professionellen Beratungsteam stellen wir über drei Tage die Produktions- und Verwertungskette des gesamten Unternehmens bildlich nach, sodass wir am Ende den Gesamtprozess plastisch vor Augen haben. Plötzlich erkennen die Beteiligten selbst die Schnittstellen zwischen den Abteilungen, und dass dort verstärkt Kommunikation vonnöten ist.

Die beiden Leiter zweier nachgelagerter Abteilungen, die seit Jahren täglich miteinander Mittagessen gehen, waren mir bei der Argumentation von großer Hilfe. Im ganzen Unternehmen ist bekannt, dass die Kooperation zwischen den Abteilungen, denen sie vorstehen, geradezu vorbildlich klappt. Quasi en passant besprechen die zwei miteinander befreundeten Leiter jedes auftretende Problem, einigen sich auf eine Lösung und ersparen ihren Abteilungen und damit dem ganzen Unternehmen jede Menge Reibungsverluste.

Einsicht in unterschiedliche Funktionslogiken – neue Kommunikationsformate

Als Folge des Seminars, das Einsicht in die unterschiedlichen Funktionslogiken der einzelnen Abteilungen bot, bildeten sich neue Kooperations- und Kommunikationsformate heraus. Praktiker:innen erhalten nun Gelegenheit, die Entwürfe der Entwickler:innen bereits im Konzeptstadium zu beurteilen und zu kommentieren. Übergabeprozesse von der einen an eine andere Abteilung werden standardisiert und so gestaltet, dass zukünftig alle relevanten Informationen in strukturierter Weise weitergegeben werden. Auf mittleren Ebenen befinden Abteilungsleiter:innen, dass sie eigene Sitzungen brauchen, in denen es nur darum geht, ablauftechnische Probleme zu lösen. Und so weiter. So mancher Kommunikationsfluss zwischen unterschiedlichen Organisationseinheiten bessert sich.

Perfekt ist die Situation im Unternehmen natürlich trotzdem noch nicht. Sie wird es wahrscheinlich auch nie sein, denn es bleibt immer noch verlockend, nach Schuldigen zu suchen, wenn etwas schiefläuft. Dennoch ist es nach all der Diskussion um die Schnittstellenproblematik nicht mehr ganz so einfach in den Raum stellen, dass „die anderen“ gleichgültig, schlampig oder gar boshaft wären. Man ist nun angehalten, im Fall von Konflikten selbst nach strukturellen Ursachen zu suchen und Möglichkeiten zu deren Beseitigung zu finden. Und definitiv hat sich das soziale Klima in den Sitzungen verbessert.