Was zeichnet Menschen aus, die gute Führungskräfte sind? Und gibt es so etwas wie eine „Führungspersönlichkeit“ – also ein Bündel von persönlichen Eigenschaften, die zur Führung prädestinieren?

Sehen wir uns zunächst einmal an, über welche Eigenschaften eine Person verfügen sollte, wenn sie eine gute Führungskraft sein will:

Entscheidungsfreude und Risikobereitschaft

Unsicherheit bezüglich der Zukunft besteht immer. Wird sich das neue Produkt am Markt durchsetzen? Wird sich die Investition rechnen? Soll man ein Geschäft im Ausland wagen, das, wenn es gelingt, äußerst gewinnbringend sein könnte, das andererseits durch die politisch nicht sehr stabile Lage jedoch auch das Risiko hoher Verluste in sich trägt? Soll man sich gegen Zinsen- und Wechselkursschwankungen um viel Geld absichern, oder lieber darauf vertrauen, dass man mit seinen Prognosen ohnehin richtigliegt? Soll man diesen oder jenen Experten als Abteilungsleiter ins Boot holen? Und so weiter. Täglich sind von Führungskräften solche Entscheidungen, große und kleine, zu treffen. Ängstliches Zögern und Zaudern ist hier fehl am Platz. Führungskräfte müssen fähig sein, Entscheidungen zu treffen und mit Risiken umzugehen.

Man darf keine „Mimose“ sein

Als ich erstmals in eine Führungsposition kam, war ich überrascht, plötzlich Angriffen von allen Seiten ausgesetzt zu sein. Dass die Belegschaft an „denen da oben“ immer etwas auszusetzen hat, gehört schon fast zum guten Ton des Arbeitslebens und wird oft von Betriebsräten, die sich profilieren wollen, noch weiter befeuert. Ist die Führungskraft eine Frau, wird nicht nur ihr Verhalten besonders kritisch beurteilt. Sie hat auch ständig Kommentare zu ihrem Aussehen, ihrer Stimme, ihrer Aufmachung „wegzustecken“.

Das sei die ganz normale Geräuschkulisse rund um eine Spitzenposition, der man am besten keine Aufmerksamkeit schenkt, sagte meine Beraterin einst, als ich, am Anfang meiner Karriere, nahe dran war, mich über solches Gerede wirklich zu kränken.

Als Führungskraft unterliegt man ständig dem Konkurrenzdruck, und nicht nur jenem am Markt, an dem das Unternehmen tätig ist. Die Position einer Führungskraft ist immer ein Objekt der Begierde für andere, die diese Stelle selbst gerne einnehmen würden, und bei Versuchen, dahin zu gelangen, mitunter keine Niedertracht scheuen. Auch damit gilt es, souverän umzugehen. „Der XY sägt an meinem Sessel, ha, ha, ha!“ erzählte mir einer meiner früheren Chefs lachend über die Bemühungen seines Stellvertreters. „Neid muss man sich auch erst einmal erarbeiten“, meinte wiederum ein Kollege, der von übelwollenden Konkurrenten umgeben war, und sich dennoch in seiner Spitzenposition sonnte. Auf verlorenem Posten stehen hingegen alle jene, die Aktionen, die ihrer Position gelten, persönlich nehmen.

Mit einem Wort: Das Geschäftsleben ist kein Kindergeburtstag. Es gilt, seine Stellung im Unternehmen und am Markt zu behaupten, und das setzt eine gewisse Fähigkeit zum Austeilen, aber ebenso zum Einstecken voraus.

Angriffe und Niederlagen nicht persönlich nehmen

Für Menschen in allen beruflichen Positionen, aber für Führungskraft ganz besonders, ist es überlebenswichtig, zwischen dem eigenen Ego und der beruflichen Rolle, die man einnimmt, zu unterscheiden. Wer eine Unwahrheit, eine Lüge, ein Hintergehen zum Zwecke des geschäftlichen Vorteils als persönliche Beleidigung auffasst, hat zwar vom moralischen Standpunkt aus Recht, verschwendet aber nur Zeit und Energie, die er/sie anderweitig gut gebrauchen könne – beispielsweise für einen effektiven Gegenschlag. Auch Niederlagen sollte man „sportlich“ nehmen statt sich zu kränken. Es ist niemandem geholfen, wenn man sich zu lange darüber grämt, und lähmt nur die Kräfte, die fürs Wiederaufstehen gebraucht werden.

Die Unterscheidung zwischen Ego und Position hilft auch im Umgang mit präpotenter Kundschaft oder mit unangenehmen Geschäftspartner:innen. Auch wenn man ihnen am liebsten die lange Nase zeigen würde, tut man es als Vertreter:in der Firma lieber nicht, und bleibt stattdessen freundlich und gelassen. Und wenn man das eine oder andere Mitglied des Aufsichtsrats für unqualifiziert hält, tut man dennoch gut daran, dessen Fragen mit derselben Aufmerksamkeit zu behandeln wie die der anderen.

Gelassenheit

Die Fähigkeit, gelassen zu bleiben, brauchen Führungskräfte auch, wenn es für das Unternehmen oder für sie selbst aus irgendeinem Grund heikel wird – wenn sich zum Beispiel etwas zuträgt, das zu einem kleineren oder größeren öffentlichen Skandal werden könnte. In solchen Situationen sollte man zwar alle Maßnahmen setzen, die angebracht sind, darüber hinaus aber möglichst, zumindest nach außen hin, die Ruhe bewahren und abzuwarten, bis sich die Aufregung gelegt hat. Meistens legt sie sich tatsächlich bald. Hilfreich ist es in solchen Situationen, sich vor Augen zu halten, dass alles schon einmal dagewesen ist, und dass es genauso vorbeigegangen ist wie es auch im aktuellen Fall vorbeigehen wird.

Langer Atem

Geduld und einen langen Atem sollten Führungskräfte auch haben, wenn sie ein Projekt umsetzen wollen, für das sich (noch) keine Mitstreiter:innen finden. Die Erfahrung lehrt, dass es für jedes gute Projekt den richtigen Zeitpunkt braucht – wenn es heute nicht realisierbar ist, dann morgen, oder in ein paar Monaten oder Jahren.

Im Übrigen kommt kaum jemand so souverän rüber wie eine Führungskraft, die zwar etwas initiieren oder verkaufen will, gleichzeitig aber signalisiert, dass sie keine Eile, sondern alle Zeit der Welt hat.

Überdurchschnittlicher Arbeitseinsatz

Es versteht sich fast von selber, dass von Führungskräften überdurchschnittlicher Arbeitseinsatz erwartet wird. Man gelangt ja gar nicht an die Spitze, wenn man täglich um punkt siebzehn Uhr den Bleistift fallen lässt, den Computer abdreht und nach Hause geht – egal, was in der Firma gerade los ist. Und ist man dann Kapitän oder Kapitänin, dann verlässt man das Büro im Notfall immer als letzte/r. Und auch an normalen Tagen endet die Arbeit einer Führungskraft selten mit Büroschluss, sondern setzt sich, zumindest im Kopf, in der „Freizeit“ fort.

Härte und Disziplin

Auch die Bereitschaft, ein wenig Härte und viel Disziplin zu beweisen, sowie gewisse Opfer zu bringen, wird bei Führungskräften vorausgesetzt. Mitarbeiter:innen schickt man nach Hause, wenn sie Anzeichen einer Erkältung haben (nicht zuletzt, damit sie nicht die halbe Firma anstecken), doch als Führungskraft kommt man oft auch in angeschlagenem Gesundheitszustand ins Büro. Man sagt schließlich nicht wegen einer kleinen Unpässlichkeit einen Termin mit einem halben Dutzend Teilnehmer:innen ab, der Monate im Voraus mühsam koordiniert worden ist. „Ich bin mir nicht sicher, ob die Kollegin für eine Führungsrolle in Frage kommt – dafür geht sie zu oft in den Krankenstand“, räsonierte denn auch mein Vorstandskollege kürzlich über eine aufstrebende junge Frau in der Firma. Ein Chef, dem ich, weil er fiebrig war, riet, heimzugehen und sich auszukurieren, beschied mir, dass „der Cowboy in den Stiefeln stirbt“, und blieb selbstverständlich im Büro.

Führungskräfte sind einsam

Für Führungskräfte gilt es auch, viel Einsamkeit auszuhalten (dazu mehr in einem der nächsten Beiträge).

Führen wollen

Generell braucht es zum Führen Menschen, die die Initiative ergreifen und Leadership übernehmen und dies gerne tun, die also wirklich führen wollen.

Gute Führungskräfte sind keine Menschen, die sich den Verhältnissen ausgeliefert fühlen, sondern solche, die der Überzeugung sind, dass die Welt gestaltbar ist, und dass sie einen Beitrag dazu leisten können.

Fähigkeit, andere zu motivieren und mitzureißen

Gute Führungskräfte haben die Kraft, andere von ihren Ideen zu überzeugen, sie mitzureißen und zur Leistung zu motivieren. Dazu brauchen sie ein wenig Charisma und, wie ich meine, Vertrauen in die Projektpartner:innen und die Mitarbeiter:innen, das sie diesen auch vermitteln. Kontrollfreaks, die ihrer Umgebung mit Misstrauen begegnen, sind selten gute Führungskräfte.

Reife Persönlichkeit

Um eine wirklich gute Führungskraft zu sein, bedarf es meines Erachtens nach auch einer menschlich ausgereiften Persönlichkeit mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion, und mit der Gelassenheit eines Menschen, der viel vom Leben weiß, der seine inneren Kämpfe bereits hinter sich hat, und der nicht zuletzt den wahren Stellenwert seiner Position realistisch einschätzen kann.

Wenn man noch nicht soweit ist, sollte man – vielleicht mit Hilfe eines Coachs – genau daran arbeiten.