Wo Männer und Frauen zusammenkommen, ist das Geschlechtliche präsent, ob wir es wollen oder nicht. Daher ist es weder überraschend noch neu, dass Verliebtheit, Erotik, Sex und Liebe auch am Arbeitsplatz eine wichtige Rolle spielen. Warum auch sollte dieser wichtige Aspekt des menschlichen Daseins gerade vor der Bürotür Halt machen? Wer von uns war nicht schon einmal ein bisschen in einen Kollegen oder einen Chef verliebt?

Affairen am Arbeitsplatz – eine:r verliert (fast) immer

Dass Affairen am Arbeitsplatz heikel sind und irgendwann den hierarchisch schwächeren Part zum Verlierer/zur Verliererin machen, demonstrieren Geschichten wie die folgende:

Wir suchen eine neue Chefsekretärin und fragen eine Kandidatin, warum sie im Unternehmen, in dem sie zuvor fast zwanzig Jahre lang tätig war, gekündigt hat. Sie antwortet ehrlich. Sie war eine Liebesbeziehung mit ihrem Abteilungsleiter eingegangen, nach deren Beendigung sie nicht weiter dort arbeiten will/kann. Eine Versetzung innerhalb des Unternehmens ist nicht möglich, und so sieht sie sich gezwungen, sich im Alter von 47 Jahren nach einem neuen Job umzuschauen. Sie war nun schon seit ein paar Monaten arbeitslos und schätzt ihre Lage realistisch ein. Um wieder angestellt zu werden, sei sie bereit, eine Einkommenseinbuße von bis zu fünfzig Prozent in Kauf zu nehmen, meint sie achselzuckend.

Verliebtheit, Erotik, Sex, Liebe – alles dasselbe?

Was meinen wir, wenn wir von Erotik reden? Verliebtheit, Affaire, Sex, Liebe? Der Unterschied zwischen den Facetten jener mysteriösen Anziehungskräfte, die unsere Gattung am Leben erhalten, ist groß. Welche Rolle spielen diese „Zustände“ im Berufsleben?

Erotisches Knistern

Erotische Knistern, so behaupte ich, muss das Arbeitsleben keineswegs komplizieren, sondern kann es auf eine spannende Weise bereichern und beflügeln.

Wie angenehm ist es doch, sich am Sonntagabend auf die neue Arbeitswoche zu freuen, weil man am Montag die sympathische Kollegin wiedersieht. Jede Überstunde ist leichter abzuarbeiten, wenn der Kollege, dessen Rasierwasser so gut riecht, auch noch im Büro ist und gelegentlich mit einer Kaffeetasse in der Hand vorbeischaut. Ein Text schreibt sich flüssiger, wenn man damit den neuen Kollegen aus der Presseabteilung beeindrucken kann, und jeder langweilige Vortrag wird erträglich, wenn man mit der Kollegin, mit der man sich sowieso gut versteht, die Köpfe zusammensteckt und heimlich über das Gesagte lästern und lachen kann. Das Prickeln ist inspirierend und wenn die Sache auf der Ebene der Andeutung gehalten wird, dann gereicht niemandem zum Schaden, ganz im Gegenteil. Nicht immer muss es konkurrenzbetont und todernst zugehen bei den Beziehungen am Arbeitsplatz.

Die Büro-Ehe

Es gibt auch noch andere Varianten des spielerischen kollegialen Zusammenseins von Mann und Frau. So kann etwa aus einer jahrelangen engen Zusammenarbeit etwas entstehen, das ich kürzlich in einem amüsanten Zeitungsartikel als „Büro-Ehe“ beschrieben gefunden habe. Tatsächlich kennen viele von uns das eine oder andere Kolleg:innen-Paar, das ein Herz und eine Seele ist, stets gemeinsam auftritt, und ähnlich vertraut aufeinander eingespielt ist wie ein richtiges Ehepaar. Normalerweise verbindet so ein „Büro-Ehepaar“ jedoch nichts Privates, und die „Büro-Ehe“ bleibt aufs Büro beschränkt.

Die „Büroehe“ kann eine erotische Komponente haben, wie etwa in vielen beliebten Fernsehkrimis, wo sich Zweiergespanne aus Kommissar und Kommissarin tummeln, die, während sie ihre spannenden Fälle lösen, kumpelhaften, oft auch schäkernden Umgang miteinander pflegen. Sie haben aber für gewöhnliche keine Affären miteinander. Auch beim Einsatz von Moderatorenpaaren in Nachrichtensendungen und TV-Shows setzt man auf diese Art unterschwelliger Erotik.

„Projekt-Erotik!

Mehrmals in meinem Berufsleben habe ich mich in einen Kollegen oder Chef verliebt. Das passierte stets dann, wenn es im Job besonders aufregend herging, wenn man an einem spannenden Projekt arbeitete, miteinander neue Ideen kreierte, experimentierte, aufbaute. Da werkte man Wochen und Monate durch, oft bis tief in die Nacht und wurde dennoch nicht müde, weil man von Euphorie getragen war – und von der erotischen Spannung, die mit der Begeisterung einherging und die Luft ständig zum Knistern brachte.

Kaum war das Projekt zu Ende, oder wechselte ich den Job, stellte ich stets mit leichter Enttäuschung fest, dass es auch mit der Verliebtheit rasch vorbei war – weil die Begeisterung schließlich doch mehr dem Projekt gegolten hatte als dem Kollegen. Stets war ich dann heilfroh, mich auf nichts Weiteres eingelassen zu haben.

Kürzlich las ich ein Interview mit Keanu Reeves und Sandra Bullock, in welchem beide angaben, während der Dreharbeiten zu einem ihrer Filme in den/die jeweils andere/n verliebt gewesen zu sein – was jedoch keiner von beiden bemerkt hatte. Dem Film hat es sicherlich nicht geschadet, und einer anhaltenden Freundschaft zwischen den beiden Schauspieler:innen auch nicht.

In all diesen Fällen zeichnen sich die Verhältnisse dadurch aus, dass die Erotik, die in der Luft liegt, auch in der Luft bleibt, und keine sexuellen Handlungen nach sich zieht.  

Ehen, die am Arbeitsplatz beginnen.

Ein gewisser Widerspruch zu dem eben Gesagten ergibt sich aus Statistiken, die bezeugen, dass ein Gutteil der Ehen durch ein Kennenlernen am Arbeitsplatz zustande kommen. Wo sonst lernt man auch so leicht so viele Angehörige des anderen Geschlechts kennen? Und soll man denn auf die große Liebe verzichten, nur weil er/sie ein/e Kolleg:in oder ein/e Vorgesetzte:r ist?

Verliebt man sich ernsthaft in eine/n Kolleg:in, betritt man heikles Terrain. Klarerweise wird man sich eine Zeitlang bedeckt halten und die Liaison, solange noch ungewiss ist, was daraus wird, vor Vorgesetzten und Kolleg:innen verbergen. Erst wenn absehbar ist, dass die Beziehung – wie es ein Kollege treffend ausdrückte – „lebensverändernd“ wird, muss man sich outen und sich der jeweiligen Firmenpolitik unterwerfen. Ist es in einer Branche unvereinbar oder unerwünscht, dass Personen mit privaten Naheverhältnissen zueinander an derselben Stelle arbeiten, muss eben eine/r den Arbeitsplatz wechseln – wobei für die/den Betreffende:n zu hoffen ist, dass sich der Wechsel im Hinblick auf ein glückliches Privatleben auszahlt.

#metoo

Besonders unangenehm sind jene Fälle, die in den Bereich „sexuelle Belästigung“ fallen. Das sind klare Verfehlungen gegen die Integrität des (meist weiblichen) Gegenübers, und verdienen es nicht, mit dem Begriff „Erotik“ auch nur verbal in Zusammenhang gebracht zu werden.  

Hier geht es um Übergriffe an den unterschiedlichen Arbeitsplätzen dieser Welt, die sich von verbalen Anzüglichkeiten bis hin zu körperlichem Bedrängen äußern, die als „sexuell“ tituliert werden, jedoch auch eine starke Machtmissbrauchskomponente aufweisen. Verfehlungen dieser Art sind noch nie in dieser Deutlichkeit und Breite öffentlich diskutiert worden wie in den letzten Jahren, und natürlich sind wir uns alle darüber einig, dass sie strikt zu verurteilen sind  – und nicht nur im Büro.

Was „darf“ man als Mann eigentlich noch?

Und dennoch hat die öffentliche Diskussion einige Unsicherheit ans Tageslicht gebracht, die sich an Fragen wie den folgenden zeigt: Wie weit darf ein Mann gehen? Können Männer überhaupt noch unbefangen mit Frauen zusammenarbeiten, wenn ein unbedachtes Wort, ja sogar ein unangemessener Blick falsch ausgelegt werden und einem beruflich oder gar existenziell den Kopf kosten kann? Soll sich ein Mann davor hüten, mit einer Frau alleine im Lift zu fahren? Und so weiter, und so fort.

Dazu gibt es nur eine klare Haltung, die ich, wie ich weiß, mit dem Großteil meiner männlichen Kollegen teile: 

Ein respektvoller menschlicher Umgang schließt Anzüglichkeiten und Herabwürdigungen sexueller Art von selber aus. Verbale Übergriffe oder Grabschen haben nie viel mit Verliebtheit oder Begehren, dafür umso mehr mit Demonstration von Macht zu tun. Jeder Mann, der sich ernsthaft in eine Kollegin verliebt, weiß nämlich, dass er mit anzüglichen Bemerkungen und unangebrachten Handgreiflichkeiten ganz sicher nicht punkten wird, also stecken, wenn er es doch tut, Dominanzgehabe und Aggression dahinter. Ist ein Mann unsicher, ob er dieses oder jenes „darf“, dann möge er sich selber fragen, wie es sich anfühlen würde, wäre das Geschlechterverhältnis umgekehrt. Kommt bei der Vorstellung Unbehagen auf, kann er mit Sicherheit davon ausgehen, dass das geplante Verhalten falsch ist.

Und niemals, weder im Büro noch sonst wo, sollte es darum gehen, auszureizen, was man sich „gerade noch“ herausnehmen darf.

Frauen müssen weder „Spiele“ und noch „Späße“ mitmachen, bei denen sie sich unwohl fühlen. Sie sollten Übergriffe entschlossen zurückweisen und sie gegebenenfalls den Vorgesetzten melden. In heiklen Fällen ist es überdies ratsam, sich an eine einschlägige Frauenberatungsstelle zu wenden.

Erotische Reize als Mittel für die Karriere

Ich habe nie erlebt, dass ein Mann sich über sexuelle Belästigung durch eine Frau beschwert hat, obwohl ich mir durchaus vorstellen kann, dass auch dies vorkommt, wenn es die Machtverhältnisse zulassen. Sexuelles Fehlverhalten bleibt nämlich nicht auf Männer beschränkt, auch wenn es Frauen meistens anders anlegen: Was klischeehaft der Film- und Theaterbranche zugeordnet wird, nämlich der Einsatz erotischer Reize um etwas Bestimmtes zu erreichen, spielt, wie ich beobachtet habe, auch in anderen Branchen gelegentlich eine Rolle. Ich hatte sogar mal eine Kollegin, die ein solches Verhalten als legitimen Teil ihrer Karrierestrategie sah und sich ohne Scham freimütig darüber äußerte. Meist ist ein solches Verhalten seitens von Frauen aber keine Machtdemonstration, sondern bezeugt eigentlich das Gegenteil.

Die Verantwortung von Vorgesetzten

Kommt es im Betrieb zu sexueller Belästigung, dann ist für Vorgesetzte entschlossenes Einschreiten das Gebot der Stunde. Ich bin als Chefin einmal in die Situation geraten, wegen anhaltender sexueller Belästigungen zuerst verwarnen und dann eine fristlose Entlassung aussprechen zu müssen. Obwohl die Sachlage klar war, war es kein leichter Schritt, und ich war froh, ihn gemeinsam mit einem männlichen Kollegen zu tun, der keinen Zweifel daran ließ, dass auch er ihn für gerechtfertigt hielt.

Frau „muss“ keine Affairen haben

Mir wurden auch, wie wohl fast wie jeder berufstätigen Frau früher oder später, Verhältnisse mit Chefs oder Kollegen unterstellt. Ich hatte jedoch nie welche, und ich kann, für mich und die Mehrheit meiner erfolgreichen Kolleginnen sprechend, mit Bestimmtheit sagen, dass keine Frau zu solchen Mitteln greifen muss, um Karriere zu machen.

Don’t sh.. where you eat!

„Don’t shit where you eat“, sagen die Amerikaner:innen und meinen es durchaus noch weiterreichender. Nicht nur sexuelle Abenteuer mit Kolleg:innen sollte man sich verkneifen. Am besten sei es, wenn der Arbeitsplatz in punkto Erotik generell ein Tabu-Feld bleibt.

So eng mag ich es nicht sehen, aber dass da zweifellos etwas dran ist, zeigt der eingangs geschilderte Fall, der mit allen ähnlichen Fällen etwas gemeinsam hat: Platzt das Verhältnis, welcher Art immer es auch gewesen sein mag, dann haben diejenigen das Nachsehen, die am kürzeren Ast sitzen, und das sind, so wie unsere Berufswelt strukturiert ist, fast immer die Frauen. Sie werden dann in eine Provinzfiliale versetzt oder gar zur Kündigung veranlasst und laufen Gefahr, Status und Einkommen zu verlieren. Ihrem professionellen Ruf tun sie sich mit einer Affaire auch nichts Gutes. Und daher sollten es sich insbesondere Frauen dreimal überlegen, bevor sie sich am Arbeitsplatz auf eine Liebesbeziehung einlassen.

Wie verhält man sich am besten?

Den Feinfühligen unter uns ist es gegeben, sich in erotischen Spannungsfeldern mühelos und spielerisch zurechtzufinden ohne jemals an die Grenze zu Ungehörigem zu streifen, geschweige denn, sie zu überschreiten. Man übt sich ein bisschen in Galanterie, schäkert da und dort, und macht Komplimente, die nie plump oder anzüglich sind, sondern ein Lächeln ins Gesicht und in die Seele der Empfänger:innen zaubern. Solche Menschen verstehen es mit Charme, eine erotische Atmosphäre zu schaffen, die alle Anwesenden umfasst und niemanden ausschließt. Sie sind eine Bereicherung für jeden Arbeitsplatz.

Doch das Spiel mit Erotik am Arbeitsplatz bleibt dennoch immer eine Gratwanderung oder gar ein Tanz auf dem Eis. Wer die Kunst der zarten erotischen Aufladung beherrscht, der kann den Alltag für alle, die auch Freude daran haben, ein bisschen bunter machen. Fehlt einem jedoch in diesen Belangen die Sicherheit, dann tut man im Job auf jeden Fall besser daran, auf der nüchternen, ja sogar langweiligen Seite zu bleiben und strikte Zurückhaltung zu üben, denn jeder Faux pas ist gerade in diesem Bereich einer zu viel.