Ich sitze alleine in meinem Büro, ich esse alleine zu Mittag, ich bin alleine mit all den Gedanken, die sich um die Firma drehen, um die Mitarbeiter:innen, um die Geschäfte.

Ob ich nicht einsam sei in meinem beruflichen Alltag, werde ich gelegentlich von Leuten gefragt, die sich in einer ähnlichen Situation befinden wie ich.

Nun ja, als ein bisschen einsam könnte ich meinen Alltag als Führungskraft durchaus treffend beschreiben. Ich habe niemanden um mich um quasi nebenher etwas zu besprechen, niemanden, die/den ich mal auf die Schnelle um Rat fragen könnte. Ich habe auch niemanden für gemeinsames Lachen, Lästern oder Dampf ablassen. In Arbeitspausen geselle ich mich nicht zu meinen Mitarbeiter:innen, und sie sich schon gar nicht zu mir. Früher war ich eine von ihnen, eine Kollegin unter Kolleg:innen, doch in der Führungsetage bin ich vom normalen Büroalltag abgeschnitten.

Gehe ich zum Mittagessen in ein Lokal in der Nähe des Büros, sitzen dort öfters Grüppchen von Mitarbeiter:innen. Sie laden mich nicht ein, an ihrem Tisch Platz zu nehmen, und ich signalisiere ihnen wahrscheinlich auch recht deutlich, dass ich gar nicht eingeladen werden will, wenn ich, mit der Zeitung in der Hand, kurz nickend an ihren vorbei rausche und an dem Tisch Platz nehme, den die Sekretärin für mich hat reservieren lassen.

Führungskräfte werden in ihrer Rolle wahrgenommen, nicht als Mitmensch

Diese „Isolation“ hat, wie mir wohl bewusst ist, nichts mit meiner Persönlichkeit zu tun. Es gibt unter den Mitarbeiter:innen sicher einige, die mich als Person gerne mögen. Was uns trennt, ist meine Position.

Die Natur meiner Aufgaben bringt es mit sich, dass ich die meiste Zeit auf mich alleine gestellt bin. Niemand erledigt die gleichen Aufgaben wie ich. Als Führungskraft verfüge immer über Informationen, die den Mitarbeiter:innen – aus gutem Grund – nicht zugänglich sind. Ich darf sie nicht teilen und muss sie, gerade wenn sie belastend sind, für mich behalten, sei es zum Schutze der Firma, sei es, um Mitarbeiter:innen nicht unnötig zu verunsichern.

Von den Mitarbeiter:innen werden Führungskräfte hauptsächlich in ihrer Rolle als Vorgesetzte wahrgenommen und höchstens in zweiter Linie als Mensch wie du und ich. Von Chefs und Chefinnen wird erwartet, dass sie immer funktionieren. Sie sind die „Führer:innen“ und müssen wissen, wo es lang geht. Erleiden sie persönlich eine Niederlage, etwa durch eine übel wollende Konkurrentin, müssen sie dennoch die Contenance wahren und gute Miene zu den bösen Spielen machen. Ein/e jammernde Chef:in bringt Mitarbeiter:innen in höchste Verlegenheit, und nicht nur, weil diese ohnehin nicht helfen können, selbst wenn sie es gerne wollten. Und genau wie Kinder ihre Eltern nicht schwach sehen wollen, wünschen sich Mitarbeiter:innen, dass ihre Führungskräfte stark und souverän bleiben.

Mit wem bespricht eine Führungskraft ihre Probleme?

Da man jedoch als Führungskraft keine Maschine ist, braucht man darüber hinaus manchmal auch das vertrauliche Gespräch. Vielleicht hat der Partner/die Partnerin zu Hause ein offenes Ohr – wobei es sich meiner Erfahrung nach empfiehlt, dieses im Sinne eines entspannten Privatlebens nicht überzustrapazieren. Führungskräfte können sich mit Gleichgestellten – Vorstandsmitgliedern, Aufsichtsrät:innen oder Branchenkolleg:innen – beraten. Oder sie suchen, insbesondere wenn es um Fachliches hinausgeht, den Austausch mit einem Coach/einer Coachin. In der diskreten Atmosphäre einer Coaching-Praxis kann auch Persönliches besprochen werden.

Obwohl ich mit meinen Mitarbeiter:innen nicht über meine persönlichen Probleme spreche, die mit meinem Job zu tun haben, habe ich ein Ohr für sie, wenn sie zu mir kommen und meinen Rat wünschen. Dann höre ich ihnen genauso aufmerksam zu wie ich es bei einer engen Freundin täte, wäge mit ihnen gemeinsam die Lage ab und tröste, wenn es passt, auch mit dem einen oder anderen Beispiel aus meinem Erfahrungsschatz. Auch ich habe so etwas schon erlebt … und überlebt…, sage ich dann zum Beispiel, und erläutere, gelassen und ein bisschen altersweise, wie ich das eine oder andere Problem aus der Welt geschafft und Widerstände oder Selbstzweifel überwunden habe. Zuweilen wirkt dies auf die Mitarbeiter:innen wie eine Zauberformel, die sie wieder aufrichtet, und ich freue mich darüber, dass andere von meinen Erfahrungen profitieren. Wenn ich so von mir spreche, beziehe ich mich jedoch immer auf Vergangenes und lasse Aktuelles tunlichst außen vor.

Manchmal sitze ich abends noch an meinem Schreibtisch und weiß, dass im Pausenraum gerade ein kleines Geburtstagsfest, ein Krampuskränzchen oder ein Neujahrsumtrunk im Gange ist, zu dem alle eingeladen sind, nur die Chef:innen nicht. Bevor dann ein schmerzliches Gefühl des Nicht-Dazugehörens auftauchen kann, freue ich mich lieber über das gute Betriebsklima, das sich anhand solch kleiner Feiern manifestiert.

Dann greife ich zum Telefonhörer und rufe H., Chefin einer Partnerfirma, an, und frage sie, ob sie Lust hat, mit mir ein Gläschen trinken zu gehen. Meist hat sie Lust, und dann reden wir, vertrauensvoll und offen, über die Dinge, die uns als „Karrierefrauen“ im Alltag so widerfahren. Sie arbeitet zwar für die Konkurrenz, und wir hüten uns, von unseren jeweiligen Firmen zu sprechen, aber was unsere beruflichen Rollen betrifft, so fühlen wir uns beide im selben Boot – und unterstützen einander immer wieder dabei, es uns darin so gemütlich wie möglich zu machen.

Wichtigster Tipp für „einsame“ Führungskräfte

Im Sinne klarer Verhältnisse sollte die Führungskraft immer in ihrer Rolle bleiben und Vertraulichkeiten vermeiden – auch um ihre eigene Position nicht unnötig zu schwächen.

Vor vielen Jahren hat mir meine Frau Coach den wertvollen Rat gegeben, den ich nun nach vielen Jahren Erfahrung als Führungskraft 1:1 weitergebe:

Wenn du Sorgen hast, behellige damit nicht deine Mitarbeiter:innen. Wende dich an jene, die in der gleichen Position/Situation sind wie du. Wenn du dich mit Gleichgestellten austauschst, ist es auch mit der Einsamkeit nicht so schlimm.