Wieder fliegen uns, ob wir es wollen oder nicht, die Geschichten von Harry und Meghan und dem englischen Königshaus, der „Firma“, medial um die Ohren. Die Krönung des Königs war ein neuerlicher Anlass fürs Aufwärmen der Skandälchen. Die persönlichen „Enthüllungen“ des Prinzen machen in der ganzen westlichen Welt Schlagzeilen – obwohl er im Grunde nichts erzählt, was nicht die meisten von uns auch in der einen oder anderen Weise aus der eigenen Familie oder aus einer Firma, in der sie arbeiten, kennen. (Nur mit dem Unterschied, dass unsereinem für derartige Öffentlichmachungen niemand etwas zahlen würde.) Doch genau, weil wir das alle irgendwie kennen, stoßen die royalen Ausführungen, auch wenn sie wie eine billige Reality Show anmuten, auf viel öffentliches Interesse.

Wer wird gewinnen?

Der Prinz beklagt laut Medienberichten ausführlich psychische Verletzungen, die ihm und seiner Gattin von Mitgliedern seiner Familie zugefügt worden sind, und wenn nur die Hälfte davon stimmt, kann er uns als Mensch wirklich leidtun. Andererseits regen sich Zweifel, ob es angebracht ist, die eigene Familie derart öffentlich durch den Dreck zu ziehen. Ist er das einzige Opfer? Sind alle anderen Täter:innen? Wer wird die Scharmützel oder die Schlacht gewinnen? Oder wird es in dieser Angelegenheit (wie so oft in unserer eigenen Realität) gar keine Sieger geben? Wie immer wir dazu stehen, die Identifikationsmaschinerie in uns ist angelaufen und garantiert den abtrünnigen Sussexes zumindest den gewünschten monetären Erfolg.

Wird das Königshaus „überleben“?

Allenthalben wird in den Medien die Frage aufgeworfen, ob das Königshaus Schaden davontragen wird, oder ob es einmal mehr genügen wird, die Sache auszusitzen, bis Gras darüber gewachsen ist, und niemand mehr davon redet. Überlebt die Institution, das Königshaus, „die Firma“, diesen Skandal so wie sie alle anderen Krisen der Vergangenheit ohne gröbere Blessuren überstanden hat? Oder hat ihr letztes Stündchen bald geschlagen?

Diese Frage spricht meines Erachtens nach den interessantesten Aspekt der ganzen Affaire an.

Es geht nämlich nicht nur um die Quereleien einer zerstrittenen Familie im fernen England, so berühmt diese auch sein mag. Es geht nicht nur um die Entfremdung zweier Brüder, um Standesdünkel oder um behaupteten Rassismus. Es geht auch oder vor allem um eine Institution, und in diesem Fall noch dazu um eine, die viele Jahrhunderte alt und weltberühmt ist. Die Mitglieder der Königsfamilie, Zielscheibe von Harrys Angriffen, sind nicht nur seine Verwandten, sondern auch Vertreter:innen ebendieser Institution. Und das ist ein gewaltiger Unterschied zu einer rein privaten Fehde.

In diesem lukrativen Streit geht es folglich nicht nur um Harry und William als Personen, sondern um das, wofür sie stehen. In dieser Auseinandersetzung steht der eine für sich. Der andere steht für die Institution.

Das Match heißt: „Individuum gegen Institution“

Man kann es fragwürdig finden, dass eine Institution es offenbar nötig hat, die emotionalen Bedürfnisse ihrer Mitglieder systematisch hintanzustellen. Man kann sich fragen, ob es die Rolle als Mitglied einer königlichen Familie tatsächlich erfordert, menschliche Beziehungen und die seelische Gesundheit Einzelner gnadenlos den Interessen der Firma zu opfern. (Diese Frage stellt sich, in abgeschwächter Form, durchaus auch für andere, weniger berühmte Familienbetriebe.) Geopfert werden dabei natürlich nicht nur Harrys und Meghans Bedürfnisse, sondern wohl auch die von William und den Seinen.

Doch im Gegensatz zu Harry identifiziert sich William mit der Institution, und so darf man sich nicht wundern, wenn er, wie alle, die sich dem Königshaus verpflichtet fühlen (und die immerhin, wie im Fall von Kronprinzen, ihr ganzes Leben lang darauf hin getrimmt worden sind) alles tun wird, um den Bestand der Institution zu sichern. William hat seine Rolle angenommen. Und im Zweifelsfall gehen die Notwendigkeiten der Rolle vor, und private Befindlichkeiten bleiben zweitrangig.

Alles Handeln auf den Bestand der eigenen Institution ausrichten, das tun nämlich nicht nur Königshäuser, sondern auch alle anderen größeren Organisationseinheiten von Konzernen bis zu NGOs, von Verwaltungseinheiten bis zu Religionsgemeinschaften, von politischen Parteien bis hin zu Fußballvereinen. Nur in den allerseltensten Fällen, also meist erst dann, wenn sich eine Institution ohnehin bereits historisch überlebt hat, genügt ein kleiner Anstoß, um sie zu Fall zu bringen. In allen anderen Fällen bleibt die Institution bestehen und lässt diejenigen, die an ihr rütteln, auf der Strecke.

Wir werden mit Interesse beobachten, wie die Geschichte mit den Prinzen weitergeht. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass Harrys Anwürfe ausreichen werden, um den Bestand des englischen Königshauses ernsthaft zu gefährden, denn zu sehr ist es ein Wirtschafts- und ein Imagefaktor für das sich ohnehin im Krisenmodus befindliche Land.

Was das alles mit uns und unserer Sicht auf die eigene Firma zu tun hat, das wird Thema im nächsten Blogeintrag sein.