Ich habe im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Karrieren gesehen – gradlinige, steile, durchbrochene, solche, die gezielt angestrebt und penibel geplant wurde, und andere, die eher „zufällig“ passiert sind, und dann wiederum welche, bei denen beides zusammengespielt und sich richtig gefügt hat. Keine Karriere verläuft genau gleich wie die andere. Individuelle Umstände spielen ebenso eine Rolle wie die Branche, in der man die Karriereleiter hochsteigen möchte.

Was ist „Karriere“?

Dazu kommt noch, dass „Karriere“ in vielerlei Weise interpretiert werden kann. Es muss nicht immer ein Aufstieg in einem Unternehmen oder einer Institution sein. Karriere machen auch Künstler:innen, Architekt:innen, Wissenschaftler:innen, oder Personen, die sich erfolgreich mit einem kleinen oder größeren Geschäft selbständig machen. Diese empfinden sich, insbesondere wenn sie sich selbst verwirklichen, mitunter als ebenso erfolgreich wie ein/e Prokurist:in einer Firma oder eine Sektionschefin in einem Ministerium. Gar nicht zu reden von jenen Lebenskünstler:innen, die sich ihre „Karriere“ aus verschiedenen Versatzstücken zusammenstoppeln: ein bisschen Broterwerb, ein bisschen den künstlerischen oder sportlichen Neigungen folgen, dabei immer noch genug Zeit fürs Privatleben haben, usw.

Wir wollen hier vor allem über Karrieren im Rahmen eines institutionellen Umfelds sprechen.

Karrierewege sind individuell

Es gibt unterschiedliche Grundlagen und Vorgehensweisen, auf denen eine Karriere aufgebaut und verfolgt werden kann. Dementsprechend unterschiedliche sind die Karrierewege.

Karriere durch Beziehungen

Es gibt Karrieren, die durch familiäre Umstände oder freundschaftliche Beziehungen zustande kommen, und nicht nur in Familienunternehmen, in die man ja quasi hineingeboren wird. Auch anderswo können der mächtige Papa oder die gut vernetzte Tante entscheidende Türen öffnen. Oft geht das gut, etwa wenn ein/e junge Führungskraft mit guter Ausbildung von klein auf ins Geschäft hineinwächst und dann erfolgreich in die Fußstapfen ihrer Eltern tritt. Oder wenn eine talentierte Person auf diese Art die Möglichkeit bekommt, sich auf einer Position zu beweisen und zu bewähren.

Manchmal gelangen durch Protektion jedoch Menschen an Führungspositionen, die für ihre Aufgaben schlecht gerüstet sind und dennoch unantastbar bleiben, solange die Förderer – Einzelpersonen oder Gesinnungsgemeinschaften – ihre schützenden Hände über sie halten. Das ist mitnichten nur im Umfeld der Politik so. Für eine Firma oder eine Institution ist dies kein idealer Zustand. Dennoch muss das Umfeld damit zurechtkommen, was insbesondere für fachlich qualifizierte und ehrgeizige Mitarbeiter:innen und Geschäftspartner:innen eine besondere Herausforderung darstellt.

Karriere durch Machttechnik

Dann gibt es jene Menschen, denen es vor allem darum geht, an eine Machtposition zu gelangen, egal in welchem organisatorischen oder branchenspezifischen Kontext. Solche Menschen verfolgen ein eigenes Karrieremuster: schon in jungen Jahren verlegen sie sich vor allem darauf, Machttechniken zu erlernen und möglichst gekonnt für ihr Ziel, nämlich die Erringung einer Machtposition, anzuwenden. Meist interessieren sie sich nicht besonders für die Inhalte ihrer Tätigkeit. Es ist ihnen egal, in welcher Branche sie eingesetzt werden. Sie haben in jedem Geschehen immer nur die eigene Machtstellung im Auge. Nützt es mir oder schadet es mir? – das ist die Frage, anhand derer sie alle ihre Entscheidungen treffen.

Solche Menschen lassen sich für gewöhnlich auf ihrem Weg zur Macht weder von sozialen noch von moralischen Erwägungen beeindrucken oder gar aufhalten. Sie verfügen über einen sicheren Instinkt, bei den „richtigen“ Leuten anzudocken, und auf jeden Zug aufzuspringen, der ihnen persönlich opportun erscheint. Sie haben keine Skrupel, einer Kollegin oder einem Förderer, von denen sie Unterstützung erfahren haben, sofort in den Rücken zu fallen, wenn dies fürs eigene Fortkommen nützlich ist. Es fällt ihnen auch leicht, eine Überzeugung, die sie gestern geäußert haben, heute ins Gegenteil zu verkehren. Innovatives und visionäres Denken ist ihnen fremd, sie brennen nicht für Ideen und setzen ihre Kräfte nur zum eigenen Vorteil ein. Dies alles klingt jetzt ziemlich bissig, aber ich habe tatsächlich eine Reihe solcher Menschen auf ihren Karrierestationen erlebt.

Machtmenschen können nicht nur für ihre Kolleg:innen und Geschäftspartner:innen unangenehm sein, weil sie sich auch prächtig auf Machtmittel wie Intrige, Bestechung, Einschüchterung oder sogar unverhohlene Drohung verstehen. Sie sind auch gefährlich fürs Unternehmen, da ihnen ihre eigenen Interessen vor jene der Firma gehen. So kann es kommen, dass das Unternehmen unter ihrer Führung in riskante Geschäfte stolpert oder aber auf der Stelle tritt, weil die Führungskraft, Entscheidungen scheut, um nur ja nirgends anzuecken und sich alle Optionen offenzuhalten.

Machtmenschen sind auch oft exzellente Blender, und daher werden sie immer und überall auf Machtpositionen zu finden sein. Sie können aber, wie man nicht zuletzt im österreichischen Politikgeschehen der letzten Jahre gesehen hat, auch sehr rasch sehr tief fallen.

Karriere durch Fachwissen

Die meisten Führungskräfte, die mir begegnet sind, haben ihren Aufstieg nach einem dritten Muster gemacht: ausgehend von einer Position als ausgewiesene Fachkraft, Schritt für Schritt nach oben. Ihnen ging es zunächst in erster Linie darum, sich in ihrem Fachgebiet zu profilieren. Sie haben sich schon früh im Leben für fachliche Disziplin oder eine Branche entschieden, haben dort spezifisches Fachwissen, Branchenkenntnisse und Führungserfahrung erworben und berufliche Netzwerke aufgebaut und sind irgendwann scheinbar wie von selbst in höheren Etagen angekommen. Sie sind entweder innerhalb eines Unternehmens aufgestiegen oder aber innerhalb der Branche, weil man auch außerhalb des eigenen Unternehmens auf sie aufmerksam geworden ist.

Viele von ihnen haben die Führungsposition nicht aktiv angestrebt. Unter ihnen findet man nämlich die „ewigen Expert:innen“, die sich weiterhin lieber ihrem Fachgebiet gewidmet hätten als den Aufgaben, die mit einer Führungsrolle verbunden sind. Dennoch führen die meisten dieser Karrierewege zu seriösen Führungskonstellationen, von denen die jeweilige Institution profitiert hat.

Karriere durch Verfolgen einer “Mission”

Misst man „Karriere“ nicht nur an Geld und Macht, sondern auch am Grad der Entfaltungsmöglichkeiten, dann sind diejenigen, die mit inhaltlichem Interesse und vielleicht sogar Herzblut bei der Sache sind, klar im Vorteil. Man denke nur an Künstler:innen, Wissenschaftler:innen, Politiker:innen, Architekt:innen, und andere Fachexpert:innen, von denen viele ihre Arbeit so sehr mögen, dass sie auch nach Erreichen des Pensionsalters nicht mit aufhören. Auch wenn solche Menschen nicht immer die oberste Stufe der Karriereleiter erklimmen, und beispielsweise ein Universitätsprofessor sogar froh ist, wenn er eine Machtposition loswird, weil er sich dann wieder in Ruhe seiner Forschung widmen kann, würde niemand behaupten, dass das keine gelungene Karriere ist.

Karriere durch Zufall?

In einem weiteren Typus kann man jene Karrieren zusammenfassen, bei denen wirklich der Zufall die Hauptrolle gespielt hat. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn bei einem Auswahlverfahren keiner der beiden besten Kandidat:innen eine Mehrheit findet und ein/e Kompromisskandidat:in zum Zug kommt, der/die vorher gar nicht in der engeren Auswahl war. Durch Zufall am Chefsessel landen kann man auch, wenn eine Führungskraft plötzlich entlassen wird oder verstirbt, und man in der Notsituation auf eine Person aus der zweiten Reihe zurückgreift, die sich im Unternehmen gut auskennt und am ehesten eine reibungslose Fortsetzung des Geschäftsbetriebs garantieren kann. Oder aber es wird eine neue Führungskraft bestellt um ein ins Schlittern geratenes Unternehmen zu wieder auf Spur zu bringen. Wenn es darum geht, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, wird oft auf Frauen zurückgegriffen – je hoffnungsloser die Sanierungsaufgabe erscheint, umso eher. Ich kenne einige Frauen, die in solchen Situationen zum Zug gekommen sind, und sich letztlich als Führungskräfte bestens bewährt haben.

Nicht selten erweisen sich solche Zufallskarrieren als erstaunlich erfolgreich, denn so mancher unscheinbare Mensch, dem man es eigentlich nicht zugetraut hat, entwickelt sich, wenn er die Gelegenheit dazu bekommt, zu einer guten Führungskraft.

Durchbrochene Karrieren

Unter dem Motto „Trotzdem“ könnte eine weitere Art, Karriere zu machen, stehen. Dabei handelt es sich um Karrieren, die nicht geplant sind, die immer wieder Brüche aufweisen, die manches Mal knapp daran sind, den Bach runterzugehen, die aber letztlich doch gelingen. Früher fanden sich solche Karrierewege am häufigsten im Kunst- und Kreativbereich. Aber in der heutigen Zeit der vielen Unsicherheiten und schnellen und abrupten Veränderungen nehmen geschlungene und durchbrochene Karrierepfade in allen Bereichen zu. Vielleicht ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis mehrmalige Brüche und radikale Job- oder Berufswechsel den Normalfall eines Karriereverlaufs bilden.

Wie habe ich Karriere gemacht?

Wie viele andere beruflich erfolgreiche Frauen werde ich manchmal gefragt, wie ich denn meine Karriere gemacht habe.

Meistens verweise ich augenzwinkernd auf „Fleiß, Ehrgeiz und Ausdauer“. Ist jemand wirklich interessiert, und habe ich überdies das Gefühl, dass meine Erfahrungen ihm/ihr auf seinem/ihrem eigenen Weg weiterhelfen könnten, hole ich weiter aus und erzähle die ganze Geschichte mit allen ihren Aufs und Abs.

Glück gehabt?

Eines sage ich aber bewusst nie: „Ich habe Glück gehabt.“ Zu oft habe ich weibliche Spitzenkräfte in sympathischer Bescheidenheit erlebt, die glückliche Zufälle als Hauptfaktor für ihre Karriere genannt haben. Eine solche Aussage verkürzt im besten Fall die Fakten, denn durch glückliche Zufälle allein kommt niemand in eine Führungsetage, es sei denn, man erbt den Betrieb. Bei allen anderen, Frauen wie Männern – und so war es auch bei mir – spielt Glück zwar immer eine gewisse Rolle, alleinentscheidend für den Erfolg ist es aber nie. Es sind vielmehr Tausende und Abertausende große und kleine Schritte – nach vorne, zur Seite, und wohl auch manchmal rückwärts -, und die Wege oft über Stock und Stein, gegangen unter Schweiß und Tränen, die man hinter sich bringen muss bevor einem ein Quäntchen Glück weiterhilft.

Hindernisse, Rückschläge und Brüche überwinden

Bei einem Führungskräfteseminar stellte man uns die Aufgabe, den eigenen Karriereweg anhand der wichtigsten Meilensteine nachzuzeichnen. Das Ergebnis war interessant: Während die männlichen Teilnehmer allesamt bruchlose Erfolgsgeschichten aufzuweisen hatten, die ausschließlich der eigenen Leistung und der eigenen Kompetenz geschuldet waren, zeichneten die Frauen Karriereverläufe mit Hindernissen, Rückschlägen und Brüchen und enormen Kraftanstrengungen, die aufzuwenden waren um in der Spur zu bleiben und weiter aufzusteigen.

Auch ich hatte meinen beruflichen Lebensweg mit seinen Siegen und seinen Niederlagen wahrheitsgetreu dargestellt – und wurde vom Seminarleiter dafür gerügt: „Man will Erfolgsgeschichten hören“, sagte er. „An Niederlagen ist niemand interessiert.“ Und er fügte hinzu: „Eigenvermarktung ist ein wichtiger Karrierefaktor.”

Wiewohl er mit seiner Aussage grundsätzlich recht hat, habe ich ihm damals widersprochen, weil wir schließlich in einem Seminar waren, in dem es darum ging, den eigenen Weg zu reflektieren und voneinander zu lernen. Dafür eignen sich meiner Ansicht nach Darstellungen der Frauen besser als jene der Männer, weil sie ehrlicher und näher an der Wirklichkeit sind. Meinen Coaching-Kund:innen würde es kaum nützen, wenn ich ihnen suggerierte, dass bei mir alles nur glatt gelaufen ist, während sie gerade eine Krise bewältigen müssen.

Einen Karriereweg ohne Durststrecken und Rückschläge gibt es nämlich selten. Jenen, die am Anfang ihrer Laufbahn stehen, tut man daher nichts Gutes, wenn man die eigene Karriere als „Spaziergang in der Ebene“ hinstellt. Junge Leute, die Geschichten ihrer Vorgänger:innen für gewöhnlich begierig aufsaugen, erhalten durch solch glatte Erfolgsgeschichten ein unvollständiges Bild von der Arbeitswelt. Michelle Obama wurde kürzlich dafür gelobt, dass sie in ihren Lebenserinnerungen auch von schwierigen Phasen berichtet, weil dies Mut macht, und ich finde, das sollten es alle erfolgreichen Frauen (und Männer) tun, wenn sie ihre Lebens- und Karrieregeschichten erzählen. Abgesehen von den Lehren, die man aus Schilderungen vom Fallen und Wiederaufstehen, vom Kronerichten und Weitermachen ziehen kann, haben diese auch einen weitaus höheren Unterhaltungswert als scheinbar makellose Lebensläufe.

Die Darstellung der Karriere im Vorstellungsgespräch

Selbst bei Vorstellungsgesprächen schadet es nicht, auf die eine oder andere überwundene Hürde zu verweisen, denn erfahrene Personalverantwortliche wissen es durchaus zu würdigen, dass die/der Bewerber:in mit Schwierigkeiten umgehen, Niederlagen verkraften, und auf kreative und konstruktive Art nach Auswegen suchen kann, wenn der eingeschlagene Pfad sich als Sackgasse erwiesen hat.

Ganz „zufällig“ macht man Karriere nur qua Geburt. In allen anderen Fällen muss man etwas dazu tun, und zwar schon viele Jahre bevor man zum großen Karrieresprung ansetzt. Welche Eigenschaften und Vorgangsweisen eine erfolgreiche Karriere begünstigt, werden wir uns im nächsten Eintrag näher ansehen.