Einst befand ich mich in einer launigen Runde von Ex-Kolleg:innen, als der ehemalige Chef ein Loblied auf mich anstimmte. In höchsten Tönen sprach er von meinen Fähigkeiten, meinem Einsatz, meiner Kreativität. Ich hörte interessiert zu, und als er fertig war, stützte ich mein Kinn in die Hand, sah in die Luft und fragte in der Art des Inspektor Columbo: Warum nur habe ich das nie gehört, als ich noch bei euch war?

Weil dir das zu Kopf gestiegen wäre, meinte einer meiner Kollegen prompt – und sprach damit ein Dilemma nicht nur des betreffenden Unternehmens, sondern unserer gesamten Gesellschaft an.

Kritik ist leichter als Lob

Während Kritik allgegenwärtig ist, hat unsere Gesellschaft mit Lob ein Problem. Das beginnt schon in der Schule. Auch wenn mittlerweile oft auch lobende Worte unter eine Schularbeit gesetzt werden, stechen doch weiter die Fehler, hervorgehoben mit Rotstift, als erstes ins Auge. Auch im Arbeitsleben ist Lob ziemlich rar. Es können unterschiedliche Gründe, nicht zu loben, ins Treffen geführt werden, von denen aber in meinen Augen kein einziger seine Berechtigung hat. Vielleicht fürchtet man tatsächlich, dass jemand, den man lobt, selbstherrlich wird und einem über den Kopf wächst. Vielleicht weiß man gar nicht, wie Loben geht, weil man selbst zu wenig gelobt worden ist. Vielleicht ist man neidisch und gönnt anderen den Erfolg nicht. Oder man fühlt sich, weil man nicht der/die Chef:in ist, nicht berechtigt zu loben.

Lob und Anerkennung als Mittel zur Motivation

Und dennoch ist, zumindest meiner Erfahrung nach, Lob das Motivationsmittel, das durch kein anderes zu übertreffen ist. Eine ähnlich beflügelnde Wirkung haben höchstens noch leistungsbezogene Prämien und Gehaltserhöhungen, die aber auch eine Form von Anerkennung und Lob sind. Lob und Anerkennung führen so gut wie immer zu noch mehr Einsatz. Umgekehrt wird das Fehlen von Anerkennung oft als die größte Schwachstelle des Chefs/der Chefin benannt, und ist nicht selten sogar der Grund für eine Kündigung seitens der besten Mitarbeiter:innen.

Lob und Kritik in angemessener Balance

Lob sollte sich immer konkret auf eine Leistung oder auf die Einstellung zur Arbeit beziehen und darf nie zu einer nichtssagenden Attitüde werden. Lobt jemand alles und jedes, ist das Lob nicht viel wert. Häufiges Loben bedeutet auch nicht, dass es keine Kritik mehr geben darf. Man kann in beides gleichzeitig äußern, Lob und Kritik. Einer meiner ehemaligen Chefs sprach, wenn man ihm einen fertigen Artikel vorlegte, immer zuerst ein generelles Lob aus, und kam erst dann auf die paar Punkte zu sprechen, die er verbesserungswürdig fand. Durch diese Vorgangsweise bekam die Kritik den ihr angemessenen Stellenwert und dominierte nicht das gesamte Feedback.

Manchmal – leider viel zu oft – trifft man mit seinem Lob einen jener neurotischen Menschen, der Lob nicht annehmen kann, weil er/sie im tiefsten Inneren überzeugt ist, es nicht zu verdienen. So jemand wird, nachdem er/sie gelobt wurde, höchstwahrscheinlich etwas tun, was den Chef/die Chefin davon überzeugt, dass sie den Falschen gelobt hat. In diesem Fall sind die psychologischen Fähigkeiten der Führungskraft gefordert.

Wenn Lob verlegen macht

Tatsächlich kann Lob aber auch „normale“ Menschen in Verlegenheit bringen, insbesondere wenn es vor anderen geäußert wird. Eine Freundin erzählte mir von einer Übung, die sie während ihrer Ausbildung zu einem Sozialberuf mitmachte. Da bildeten die Teilnehmer:innen eines Seminars einen Kreis, in dessen Mitte sich ein/e Teilnehmer:in setzen und sich dann von allen anderen der Reihe nach lobende Worte über sich selbst anhören musste. Die „Opfer“, die tief im Inneren sicherlich aufgeblüht sind, haben die Bombardements der schönen Zuschreibungen im Moment wie Folter empfunden, sagte die Freundin. Eine solche Situation sind die meisten von uns nicht gewohnt.

Dennoch sollte man als Führungskraft niemals aufhören, das Positive zu sehen, zu loben und Anerkennung auszudrücken.

In jeder Position kann man loben

Und wenn jemand meint, ein Lob stünde einem aufgrund der untergeordneten Position nicht zu, dann lasse man die folgende Anekdote auf sich wirken.

Als ich eine junge Assistentin an einem Universitätsinstitut war, fuhr ich einmal mit meinem Chef, einem arrivierten Universitätsprofessor, zu einer öffentlichen Veranstaltung, auf der er eine Rede halten sollte. Für mich war damals (und ist es heute noch) unabdingbar, eine Rede sorgfältig, am besten schriftlich vorzubereiten. Umso überraschter war ich, als der Chef am Hinweg in aller Gelassenheit ein paar Überlegungen zu seiner Rede anstellte, und sich fragte, wie er es am besten anstellen solle, dem Herrn Minister, der zur Veranstaltung erwartet wurde, die Kernbotschaft zu Gehör zu bringen. Der Minister komme nämlich immer zu spät, meinte der Chef schmunzelnd, und wenn er mal da ist, schlafe er oft ein. Man müsse also exakt den richtigen Zeitpunkt erwischen.

Mit Staunen erlebte ich dann, wie er eine brillante und mitreißende Rede hielt, in der er geschickt zum Thema hinführte und seine Message unterbrachte, als der Minister noch ganz Ohr war. Bevor ich mir noch überlegen konnte, ob es mir überhaupt zustand, platzte ich am Rückweg mit Worten der Bewunderung heraus. Die Reaktion des Chefs Reaktion wurde für mich zu einem Schlüsselerlebnis. Er war weitaus erfahrener als ich und stand hierarchisch weit über mir, und dennoch strahlte er ob meines Lobs übers ganze Gesicht.

Erst später erfuhr ich selber, dass Lob umso spärlicher wird, je höher man die Karriereleiter hinaufsteigt.

Und dennoch sagte selbst Bruno Kreisky in seinem berühmt gewordenen Zitat zu dem Thema: „Sie glauben gar nicht, wie viel Lob ein Mensch verträgt.“

Kritik zielt auf Verbesserung, doch Erfolge gehören gefeiert

Noch einen weiteren Aspekt gilt es in diesem Zusammenhang zu beachten: In den meisten Institutionen und Unternehmen wird der Fokus der kritischen Betrachtung auf Probleme und Defizite gelegt. Man konzentriert sich auf die Ziele, die noch zu erreichen sind. Das ist grundsätzlich gut, weil eine kritische Haltung der Motor zur ständigen Verbesserung der Produkte, Services und Geschäftsabläufe ist. Dennoch sollte man hie und da innehalten und Erfolgen, die man bereits errungen hat, eine Bühne geben. Statt sie nur als selbstverständlich zu nehmen, sollte man sie auch einmal feiern. Ein kleiner Umtrunk zum Abschluss eines Projekts mit einer kleinen Lobrede auf die tüchtigen Mitarbeiter:innen wirken nicht nur motivationsfördernd, sondern sind definitiv Teil einer guten Unternehmenskultur.