Wie “managt” man Menschen?
Der Bereich Personalwesen, auch „Personalmanagement“ genannt, ist bekanntlich einer der wichtigsten und herausforderndsten Aufgabenfelder der Unternehmensführung. Zahllose Fachbücher widmen sich dieser Frage. An den Betriebswirtschaftlichen Fakultäten gibt es eigene Studienzweige zum Personalmanagement.
Der Begriff „Personalmanagement“ deutet genau wie der sich auch in die deutsche Geschäftssprache eingebürgerte Begriff Human Resources (HR) Management – ein Ausdruck für alles, was mit dem Einsatz von menschlicher Arbeitskraft in einem Unternehmen zusammenhängt – darauf hin, was Arbeitskräfte in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem für ein Unternehmen vor allem sind: eine Ressource zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen, im Idealfall möglichst genauso effizient und problemlos wie jeder andere Werkstoff.
Tatsächlich ist menschliche Arbeitsleistung ein Produktionsfaktor. Da aber die Arbeitsleistung untrennbar mit ihren Erbringer:innen verbunden ist, ist ihr Einsatz an andere Bedingungen geknüpft als etwa die Verwendung von Rohstoffen, von Finanzmitteln oder aber der Betrieb einer Maschine.
Es sind Menschen, mit denen in vielen Branchen der Erfolg von Unternehmen steht und fällt.
Die Mentorin berichtet:
Nachdem ich meine Stelle als neue Führungskraft angetreten bin, habe ich versucht, die Mitarbeiter:innen der beiden ersten Ebenen unter mir so rasch wie möglich näher kennenzulernen. Ich wollte mir ein Bild machen, wollte die Arbeitseinstellung, die Karriereorientierung und den Hang zur Führungsverantwortung von jedem und jeder einzelnen erkunden. Der Gesamtbefund war für mich wenig überraschend. Wie auch schon in früheren beruflichen Zusammenhängen findet sich unter unserer Belegschaft ein bunter Mix an unterschiedlichen Mentalitäten.
Routinearbeiter:innen versus dynamische Visionär:innen?
Der Großteil der Mitarbeiter:innen fällt nicht besonders auf. Es sind die, die am Morgen kommen, die Zeituhr stempeln, ihre Arbeit tun, Mittagspause machen, und am späten Nachmittag pünktlich heimgehen. Sie erledigen verlässlich die ihnen übertragenen Aufgaben und verlassen sich dabei auf Routinen und vorgegebene Standards. Diese Menschen schätzen gleichbleibende Abläufe und Gewohnheiten und empfinden es als Irritation, wenn sie mit ungewöhnlichen Fällen, die nicht ins Schema passen, konfrontiert werden. Jeglicher Veränderung stehen sie mit Skepsis gegenüber, und nur sehr selten kommt aus dieser Gruppe von Mitarbeiter:innen eine Initiative oder ein Vorschlag zu einer Neuerung. Im Allgemeinen sind sie wenig geneigt, Führungsverantwortung zu übernehmen, und sei es nur auf Abteilungsebene oder in einem Projekt.
Dieser großen Gruppe der Routinearbeiter:innen steht eine Handvoll Mitarbeiter:innen gegenüber, die sich aus der Masse herausheben. Sie gehen ganz anders an ihren Job heran, leisten Überstunden, machen sich auch in ihrer Freizeit Gedanken über ihre Arbeit und kommen laufend mit neuen Ideen und mit Optimierungsvorschlägen daher. Manche scheinen mit ihrem Job geradezu „verheiratet“ zu sein. Diese Leute sind, wie man so schön sagt, „intrinsisch“, also aus sich heraus, motiviert, und brauchen weder Überwachung noch Kontrolle. Wenn Veränderungen im Raum stehen, freuen sie sich, denn sie sehen hauptsächlich neue Chancen.
In Branchen wie der Wissenschaft, Kunst oder in Start-ups sind die Kreativen und Engagierten häufig anzutreffen, während sie in konventionellen Unternehmen wie jenem, in dem ich nun gelandet bin, eine kleine Minderheit bilden.
Die beiden gegensätzlichen Mentalitätsmuster finden sich nicht nur in Belegschaften von Firmen, sondern überall, wo Menschen sind. Ich vermute – gestützt durch lebenslange Beobachtung – dass der Anteil der „dynamischen Visionär:innen“, wie ich die aktiveren Zeitgenoss:innen mal nennen will, in der Gesamtbevölkerung nicht mehr als 10, höchstens 15 Prozent ausmacht. In unserer Welt besteht ein deutlicher Überhang an Menschen, die es überschaubar mögen, ein gemächliches Tempo bevorzugen, vertraute Routinen ungern verlassen und lieber auf Bekanntes und Bewährtes setzen.
Wenig verwunderlich ist, dass eine Zusammenarbeit der beiden Gruppen nicht immer friktionsfrei verläuft. Für Führungskräfte ist dies eine besondere Herausforderung.
Auf die Mischung kommt es an
Es kann nicht nur Erfinder:innen geben, wir brauchen auch Leute, die die Alltagsagenden abarbeiten, sage ich augenzwinkernd zu den vor Ideen sprühenden Mitarbeiter:innen, wenn sie sich über Desinteresse, mangelnde Flexibilität, und Trägheit ihrer Kolleg:innen beschweren.
Gleichermaßen beruhige ich die beständigeren Zeitgenoss:innen, wenn es ihnen zu schnell geht mit den Ideen und Veränderungen, und ich verlangsame, oft gegen meinen eigenen Impuls, das Tempo. Über den Zaun brechen sollte man schließlich nichts, denn ohne die Langsameren und Vorsichtigeren geht es keinesfalls.
Eine Firma, die sich nicht gerade in einer kreativen Start-up-Phase, sondern in einer gut eingespielten Unternehmensroutine befindet, braucht beide Typen von Mitarbeiter:innen – die einen, die vorwärts breschen, und die anderen, die für die Beständigkeit sorgen und dafür gelegentlich ein wenig auf der Bremse stehen.
Herzblut versus Karriereorientierung
Unter den dynamischen Mitarbeiter:innen gibt es solche, die alle ihre Tätigkeiten mit Herzblut ausüben. Sie brennen für ihre Arbeit und für die Firma, während Gehalt und Stellung für sie zweitrangig sind. Andere hingegen verfolgen mit ihrem Einsatz vor allem ihre eigenen Interessen und haben stets ein waches Auge auf die Karriereleiter. (Die beiden Typen werden uns in späteren Einträgen noch näher beschäftigen.)
Vorerst sei festgehalten, dass die dynamischen Arbeitsbienen, welche Motivation sie auch immer treibt, im Allgemeinen ein Segen fürs Unternehmen sind. Als Führungskraft muss man allerdings bei denen mit dem Herzblut zuweilen dafür sorgen, dass sie nicht ausbrennen. Bei den Karriereorientierten hingegen gilt es zu unterscheiden, ob die neuen Ideen, die sie einbringen, nur von Eigennutz getragen sind oder auch der Firma zugutekommen.
Visionär:innen sind “anstrengend”
In der durchschnittlichen Belegschaft sind Visionär:innen mit ihren ständig neuen Ideen und Vorstößen nicht immer beliebt. Sie werden als Ruhestörer:innen wahrgenommen, und jene, die keine Visionen haben, fragen sich immer wieder bange, was sie denn tatsächlich im Schilde führen.
Ich weiß, wovon ich rede, denn auch ich war lange eine dieser Sorte, die nie Ruhe gab. Immer, wenn ich meinen Job halbwegs beherrschte, suchte ich nach neuen Betätigungsfeldern oder Gestaltungsmöglichkeiten, habe Kolleg:innen und Chef:innen mit Ideen und Vorschlägen genervt und war meinerseits frustriert, wenn meine Umgebung meinen genialen Gedankengängen nicht sofort gefolgt ist und sich meinen Projektideen in den Weg gestellt hat. Hat man mir das berühmte „Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht“, oder das in seiner verhindernden Wirkung gleichwertige „Das-haben-wir-noch-nie-so-gemacht“ entgegengeworfen, wäre ich oft am liebsten an die Decke gesprungen.
Ich habe meine Mitmenschen damals nicht verstanden, mit der Zeit jedoch erkannt, dass es nicht ihr böser Wille ist, der sie zum Beharren und Zögern veranlasst. Meine Dynamik und mein Tempo passten einfach nicht zu ihrer Mentalität, und mindestens so lästig, wie sie mir waren, war ich es ihnen. Nicht alle Menschen sind mit dem Übermaß an Phantasie gesegnet (oder: geschlagen), das sie befähigt (oder: zwingt), ständig neue Visionen hervorzubringen. Heute habe ich Geduld und schätze den Teil der Menschheit, der auf Langsamkeit, Geduld und Bewahren setzt, sehr.
Alles hat seine Zeit
Im Übrigen – das sei ungeduldigen Visionär:innen ins Stammbuch geschrieben – hat alles seine Zeit. Eine Idee, die heute unverstanden bleibt, kann später, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt hervorgeholt wird, zum zündenden Funken werden. Ich habe dies insbesondere, als ich kurzzeitig im Bereich der Politikberatung tätig war, gründlich erfahren. Dort kam man oft nach längerem auf Ideen zurück, die zunächst scheinbar ignoriert worden waren. Sag mal, hattest du da nicht etwas…? fragte der Chef dann nach Monaten, und ich musste nur noch meine Schublade öffnen.
Was leiste ich für das Unternehmen, was leistet das Unternehmen für mich?
Es gibt noch einen anderen Aspekt, der Mitarbeiter:innen voneinander unterscheidet. Gemäß dem berühmtem Ausspruch von John F. Kennedy, der meinte, man solle sich nicht fragen, was das Land für einen tue, sondern, was man selbst für das Land tun kann, findet man in jeder Belegschaft Mitarbeiter:innen, die von der Firma möglichst viel für sich erwarten, und stets versuchen, so viele Vorteile wie möglich für sich herauszuschlagen, während andere ständig bemüht sind, nur ja genug fürs Unternehmen zu leisten.
Sofern diese gegensätzlichen Haltungen nicht zum eigenen Schaden oder zum Nachteil der Firma übertrieben werden, sind sie meines Erachtens nach beide legitim.
Tipp der Mentorin:
Die Herausforderung für Führungskräfte besteht darin, den bunten Mix an Mitarbeiter:innen nach Fähigkeiten und Neigungen so einzusetzen, dass die Firma davon bestmöglich profitiert.
Einem Unternehmen geht es am besten, wenn die Interessen der Mitarbeiter:innen mit den Firmenzielen so weit wie möglich übereinstimmen. Eine wichtige Aufgabe von Führungskräften ist es daher, die individuellen Motivlagen zu erkennen und die Mitarbeiter:innen dementsprechend am richtigen Platz einzusetzen und mit den passenden Aufgaben zu betrauen. Man zieht visionäre und dynamische Mitarbeiter:innen heran, wenn es um innovative, fordernde, arbeitsaufwändige, interessante Sonderprojekte geht, während Routinearbeiten beim „bewahrenden“ Teil der Belegschaft gut aufgehoben sind.
Für Führungskräfte gilt es, zwischen dem Feuer der einen und dem zähen Fluss der anderen zu vermitteln und darzulegen, dass beide ihre Berechtigung haben. Im Idealfall bildet man Teams, in denen sich die Visionär:innen und die Bedenkenträger:innen ergänzen.