Für Männer und Frauen gelten, so behaupte ich, in Bezug aufs Karrieremachen grundsätzlich dieselben Gesetze. Die fachlichen, sozialen und mentalen Qualitäten, die es für eine erfolgreiche Karriere braucht, haben kein Geschlecht.
Die Startpositionen für Frauen sind schlechter
Dennoch sind die Startvoraussetzungen für Männer und Frauen nach wie vor unterschiedlich. Frauen in Führungspositionen sind, historisch betrachtet, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen ein ziemlich neuartiges Phänomen. Noch sind nicht viele Generationen mit beruflich erfolgreichen Müttern aufgewachsen, und für die meisten Menschen geben Frauen als Vorgesetzte noch kein selbstverständliches Bild ab. Der Großteil der Menschen hierzulande, Männer und Frauen, haben noch immer Geschlechterrollenklischees im Hinterkopf, die ihre Sichtweisen prägen und ihr Handeln leiten – im beruflichen Kontext meist zum Nachteil der Frauen.
So findet sich wohl jede Frau in ihrem Berufsleben mehr oder weniger häufig in Situationen wieder, die von Vorurteilen und Geschlechterstereotypen geprägt sind, und in denen Respektlosigkeit und Abwertung mitschwingen.
Geschlechterstereotypen lauern überall
Erst kürzlich habe ich in einer Buchhandlung mitgehört, wie ein Kunde die Auskunft der Verkäuferin, dass das gewünschte Buch noch nicht erschienen sei, mit einer abwertenden Handbewegung abtat, sich an einen männlichen Verkäufer wandte und ihm dieselbe Frage stellte.
„Und mit Ihnen habe ich den Termin vereinbart“, sagte jüngst die Sekretärin des Bezirkspolitikers zu mir, nachdem sie zuerst meinen Vorstandskollegen willkommen geheißen hatte. Obwohl ich ein dunkles Businesskostüm trug, hielt sie mich ohne weiteres Nachfragen für die Sekretärin meines Kollegen.
„Wir begrüßen die stellvertretende Geschäftsführerin der Firma XY“, kündigte eine freundliche, wiederum weibliche Person meine Anwesenheit bei einem Workshop an. Bevor ich es öffentlich richtigstellte, warf ich einen Blick auf die schriftliche Einladung, die diese Frau verfasst hatte, wo hinter meinem Namen, wie ich nun feststellen musste, tatsächlich „stellv. Geschäftsführerin“ vermerkt war. Ich fragte mich, was sie – jenseits von Vorurteilen in ihrem Kopf – dazu bewogen hätte können, mich so zu bezeichnen, denn tatsächlich findet sich in keiner der offiziellen Darstellungen der Firma auch nur der leiseste Hinweis darauf, dass ich nur die „Stellvertreterin“ meiner männlichen Vorstandskollegen sein könnte. Für die junge Dame war die Vorstellung, dass eine Frau an der Unternehmensspitze steht, aber offenbar so abwegig, dass sie zu meinem Namen eigenmächtig ein „stellv.“ hinzufügte. Ich stellte es vor meiner Präsentation richtig – nicht nur um mein eigenes Ego zu befriedigen, sondern auch, um einen Lerneffekt bei den anderen Teilnehmer:innen auszulösen. „Was für eine Zicke“ – das konnte ich danach an so manchem Gesicht im Publikum ablesen.
Offene und versteckte Diskriminierung von Frauen
Einmal hatte ich gemeinsam mit einem Vorstandskollegen einen Termin beim Rektor einer renommierten und sich in der Öffentlichkeit sehr fortschrittlich präsentierenden Universität. Mein Kollege hatte am Weg einen kleinen Unfall, konnte nicht erscheinen, und ich entschuldige ihn bei meiner Ankunft. Der Rektor ließ mir durch seine Sekretärin ausrichten, dass er mit mir nicht zu sprechen gedenke. Auch er fragte nicht nach meiner Funktion, sondern hielt mich allein aufgrund meines Geschlechts für eine Assistentin, an die er seine kostbare Zeit nicht verschwenden wollte.
Frauen werden weniger ernst genommen
Es gibt männliche Geschäftspartner, die in Sitzungen grundsätzlich nur ihresgleichen ansprechen, während sie mich ignorieren. „Kollege M., was sagen Sie dazu?“ heißt es dann, während ich keines Blickes und keines Wortes gewürdigt werde. Es gibt andere „Kollegen“, die meine Argumente als irrelevant abtun, während sie fünf Minuten später heftige Zustimmung bezeugen, wenn einer der anwesenden Männer dieselben vorbringt. (Dazu sei angemerkt, dass es Männer gibt, die das bemerken, und die ihre Wortmeldung dann mit „Wie Frau X. schon sagte“, einleiten.)
Man(n) hört Frauen nicht gerne zu
Es gibt einen älteren Herrn, der in einer Jury, der ich schon viele Jahre lang angehörte, mein neuer Stellvertreter wurde und zu einer Sitzung kam, um die Usancen des Gremiums kennenzulernen. Er hörte eine Weile zu, und dann staunte ich nicht schlecht, als er plötzlich anfing, mir den Beurteilungstext für die jurierten Projekte zu diktieren. Ich sah ihm tief in die Augen und bat ihn, ruhig zu sein, damit ich mich auf die Formulierung meines Protokolls konzentrieren könne. Ich wollte mir aber nicht vorstellen, wie es einer jungen Kollegin in einer solchen, im Grunde völlig absurden Situation, ergangen wäre.
Frauen wird mehr abverlangt
Ich habe Chefs erlebt, die den Frauen ganz selbstverständlich mehr abverlangten als Männern – und nicht nur im Bereich fachlicher Leistungen, sondern vor allem im Hinblick auf den Einsatz „weiblicher“ Tugenden wie Organisationstalent, soziales Verständnis, oder Geduld. Ich habe Chefs erlebt, die bei Ressourcenknappheit Frauen mit dem Argument kündigten, diese hätten eh einen verdienenden Mann zu Hause.
Manspreading
Männer nehmen mehr Platz ein. Ein männliches Mitglied der schon erwähnten Jury, hält sich für den Mittelpunkt der Welt und diktiert seinen Beitrag stets mit lauter Stimme der Sekretärin. Dass er damit die anderen beim Verfassen ihrer Texte stört, bemerkt er nicht, oder es ist ihm egal. Blickt die Jury mal in zur Seite auf ein Bild oder ein Video, lehnt er sich mit ausgestreckten Beinen in seinem Sessel so weit zurück, dass sowohl die (weibliche) Person hinter ihm als auch die vor ihm wegrücken muss, um einen angemessenen Abstand zu wahren. Sitzt er am Tisch, vergrößert er sein „Territorium“, indem er sowohl seine Unterlagen als auch seine Ellbogen ausbreitet und damit seinen Nachbarinnen Platz wegnimmt. Diese Art mancher Männer, ihr Territorium auf Kosten von Frauen zu erweitern, kennt man mittlerweile unter dem Terminus „Manspreading“.
Ein solches Verhalten verursacht nicht nur bei mir Unbehagen. Frauen wissen oft nicht, wie sie reagieren sollen. Sollen sie diskret bleiben und ihren Ärger einmal mehr hinunterschlucken? Oder sollen sie es ansprechen und riskieren, als „Zicke“ dazustehen? Schlimm genug, überhaupt darüber nachdenken zu müssen, da es Zeit und Energie in Anspruch nimmt, die für etwas Besseres verwendet werden könnte.
Fortgeschrittenes Alter schützt vor weiblichen Rollen-Stereotypen nicht
Interessant und betrüblich gleichermaßen ist, dass ich von solchen Begebenheiten nicht in der Vergangenheit berichten kann, also aus früheren Zeiten, als ich noch jung war. Unangenehmes dieser Art widerfährt mir auch noch nachdem ich den Fünfziger überschritten habe und längst den Typus „gestandene Frau“ repräsentiere. Die herablassende Sicht auf Frauen ändert sich offenbar nicht, wenn die Frauen älter und reifer werden. Nur der Ausdruck sexistischen Verhaltens hat mit dem Fortschreiten meiner Lebensjahre andere Formen angenommen.
Als junge Frau war ich mit fragwürdigen Komplimenten, frauenfeindlichen Witzen und männlichen Blicken, die an meinem Körper hinunter und wieder hinauf wanderten, konfrontiert, oder mit offener Abwertung oder Lächerlichmachen dessen, was ich sagte („Aber Pupperl…“).
Die Anzüglichkeiten und Bezugnahmen auf meinen Körper haben mit der Zeit aufgehört, doch je älter ich wurde, und je höher meine Positionen wurden, desto mehr hatte ich plötzlich „trotzige Buben“ jeglichen Alters um mich, die der Chefin (der „Mama“?) gerne die lange Nase zeigten, ihr mit kindischen Aktionen das Leben schwermachten und sehr unangenehm werden konnten, wenn sie (die „Mama“) ihre Rolle nicht so spielte, wie sie es sich vorstellten.
Mansplaining
Man kann als Frau überdies gar nicht alt genug werden um nicht weiter Männer zu treffen, die sich bemüßigt fühlen, einem die Welt zu erklären. Im englischen Sprachraum ist dieses weit verbreitete Phänomen mittlerweile als „Mansplaining“ bekannt und steht bei politisch korrekten Menschen am Pranger. Bei den anderen wird es fröhlich weiter praktiziert als wären wir noch im 19. Jahrhundert. Man kann dominantes oder belehrendes Kommunikationsverhalten von Männern in Richtung Frauen auch immer wieder in Fernsehdiskussionen beobachten.
Frauen finden schwerer Gehör
Immer noch müssen sich Frauen doppelt anstrengen um beispielsweise in einer Sitzung Gehör zu finden. Und schafft es eine Frau, sich in einer Männerrunde durchzusetzen und sich nicht nach eineinhalb Sätzen unterbrechen zu lassen, dann gilt sie bald als Schreckschraube oder als dominante Furie.
Zu dieser Problematik öffnete mir einst ein Erlebnis während meines Studiums ganz weit die Augen. Ein befreundeter Linguist riet mir, während eines dreitägigen Geschichteseminars, ausgerechnet zur Rolle der Frauen in der 1968er-Bewegung, eine Statistik darüber zu führen, wie oft sich während dieses Seminars männliche und weibliche Studenten zu Wort meldeten, ob Männer oder Frauen länger redeten, und wer wen unterbrach.
Ein soziales Experiment: Wer spricht und wer unterbricht wen?
Einmal das Augenmerk auf diese Vorgänge gelenkt, war innerhalb weniger Stunden nur allzu deutlich zu erkennen, was sich abspielte. Wie andere Frauen wollte ich mich bei diesem Seminar, mit dessen Thema ich mich ausführlich auseinandergesetzt hatte, in die Diskussion einbringen. Ein paarmal meldete ich mich zu Wort, wurde übersehen oder, wenn ich sprechen konnte, sogleich wieder unterbrochen. Nach ein paar Stunden fruchtloser Anstrengung verlor ich die Lust, mich zu beteiligen, und ich beobachtete, dass es den anderen Frauen ebenso erging. Gegen Abend des ersten Halbtags war es soweit, dass nur noch die männlichen Studenten sprachen.
Ich führte, wie mir angeraten worden war, Aufzeichnungen über die Wortmeldungen und die Unterbrechungen und war nach eineinhalb Tagen über die Ergebnisse nicht mehr allzu überrascht – höchstens über die Deutlichkeit, mit der sie das asymmetrische Verhältnis in der Kommunikation wiedergaben. Mehr als achtzig Prozent der Wortmeldungen entfiel auf männliche Studenten, obwohl die Hälfte der Anwesenden Frauen war. Keine Frau hatte jemand anderen, der am Wort war, unterbrochen, während einige Männer (immer dieselben vier oder fünf) es ständig taten und damit verhinderten, dass weibliche Wortmeldungen bis zum Ende ausgeführt werden konnten. Hätte ich die Länge der jeweiligen Wortmeldungen auch noch gemessen, wäre das Ergebnis noch um vieles deutlicher ausgefallen.
In einer Seminarpause rief ich die weiblichen Teilnehmer zusammen und präsentierte ihnen meine Aufzeichnungen. Alle waren erstaunt, keine der Frauen war sich dessen gewahr gewesen, in welchem Ausmaß Männer das Geschehen dominierten. Aber alle berichteten nun von einem gewissen Unbehagen. Sie hatten es jedoch ausnahmslos ihrer eigenen „Unfähigkeit“, sich durchzusetzen, zugeschrieben, und nicht den Verhältnissen am Schlachtfeld, die sich ihnen erst jetzt offenbarten.
Als ich die Ergebnisse meiner Beobachtungen danach dem Plenum präsentierte, herrschte auch unter den Männern – und insbesondere auf Seiten des Seminarleiters – große Betroffenheit, denn natürlich war die Schieflage auch keinem Mann aufgefallen. Wie die Frauen hatten auch die Männer sie für „normal“ gehalten, denn schließlich ist es das, was wir alle kennen. Für den Rest des Seminars ließ der Leiter nur noch Frauen zu Wort kommen. In den Seminaren, die ich später an der Universität leitete, gewöhnte ich mir nach dieser Erfahrung an, Männer und Frauen, die sich meldeten, bewusst abwechselnd aufzurufen.
Wir alle erleben Diskriminierung
Im Laufe meines Berufslebens sind mir insgesamt wohl so ziemlich alle Stereotype untergekommen, die man in Bezug auf Geschlechterrollen kennt. Ich habe erlebt, welche Folgen der Ausschluss aus alkoholträchtigen und sonstigen nächtlichen Zugehörigkeitsritualen unter Männern für mich und andere Frauen hat. Ich habe gesehen, wie man cholerische Männer als „durchsetzungsfähig“ wahrnahm, der ebenso unbeherrschten Frau jedoch den Ruf verpasste, „hysterisch“ zu sein. Ich habe nicht nur beobachtet, sondern auch selbst erfahren, mit welch atemberaubender Selbstverständlichkeit man Frauen ein geringeres Gehalt anbietet als Männern in derselben Position. Und so weiter.
In Zeiten von #Me.Too geben sich wahrscheinlich nur mehr wenige Männer offen sexistisch. Die meisten wissen mittlerweile, was „politisch korrekt“ ist und halten sich mit Anzüglichkeiten oder Abwertungen zurück. Was sie denken, prägt jedoch nach wie vor ihr Verhalten und tritt dann nicht selten unbewusst zutage. „Sei froh, dass du nicht hörst, wie Männer über Frauen wie dich reden, wenn sie unter sich sind“, sagte mir einmal einer jener wohlmeinenden, sensiblen Männer, die es auch gibt.
Auch Frauen diskriminieren Frauen
Aber nicht nur Männer diskriminieren. Häufig sind es auch Frauen, die – selbst, wenn sie den Feminismus und die Frauensolidarität groß im Munde führen – andere Frauen quasi am Rockzipfel zurückhalten, wenn diese zu erfolgreich zu werden drohen. „Bist du sicher, dass du das kannst?“ fragen Frauen einander, wenn eine von ihnen eine höhere Position angeboten erhält. „Sie verdienen viel zu viel“, hörte ich eine weibliche Vorgesetzte wiederholt zu einer Frau sagen, deren Gehalt noch beträchtlich unter jenem lag, welches Männer in der gleichen Position erhielten. Frauen helfen einander auch selten, in höhere Positionen zu kommen. Weibliche Führungskräfte werden, insbesondere von weiblichen Mitarbeitern, und speziell jenen der älteren Generationen tendenziell mit weniger Respekt bedacht als männliche Vorgesetzte, und müssen Tag für Tag viel Kraft darauf aufwenden, sich durchzusetzen.
Die Gründe für die mangelnde Solidarität unter Frauen sind vielfältig und wohl vor allem auf der psychologischen Ebene zu suchen. Ohne Zweifel haben sie viel mit der jahrhundertelangen Unterordnung der Frauen in der Gesellschaft zu tun.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern sich nur langsam
Wir sind, historisch und gesellschaftlich betrachtet, in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse in einer Umbruchphase. Wenn wir behaupten, es gehe in Sachen Geschlechtergleichstellung nichts weiter, dann stimmt das mitnichten. Man braucht nicht weit in die Geschichte zurückgehen um sich an Verhältnisse zu erinnern, die wir heute als haarsträubend ansehen würden. Noch in den 1960er Jahren konnten Männer ihren Ehefrauen die Berufstätigkeit untersagen. Wenn Frauen berufstätig waren, ging ihr verdientes Geld vielfach auf das Familienkonto, über das allein der Mann verfügen konnte. Frauen in Spitzenpositionen waren selten wie Schnee im Sommer. Und niemand, weder Männer noch Frauen, fanden es falsch, dass Frauen weniger verdienten als Männer oder im Krisenfall als erst gekündigt wurden – weil immer noch der Mann als Haupternährer der Familie angesehen wurde, und sie ja schließlich höchstens die „Hinzuverdienerinnen“ waren.
Da sind wir heute zweifellos schon um sehr vieles weiter, auch wenn nach wie vor offene oder subtile Ungleichheiten bestehen bleiben und die „gläserne Decke“ immer noch eine Barriere darstellt, die Frauen am weiteren Aufstieg hindert – oder auch nur daran, den Kopf zu hoch zu halten.
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