Stilfragen betreffen nicht nur Führungskräfte und Mitarbeiter:innen. Auch das Unternehmen als Ganzes kann sich mehr oder weniger stilvoll präsentieren.
Sind wir die armen Verwandten?
Gemeinsam mit einem Techniker, der auch Prokurist in unserem Unternehmen ist, nehme ich einen Termin in den Räumlichkeiten eines Geschäftspartners wahr. Unter der Regie eines Notars machen Dokumente die Runde, die wir der Reihe nach unterschreiben. Es sind wichtige Verträge.
Wir befinden uns in einem holzgetäfelten Raum mit echten Perserteppichen am Boden und einem langen Mahagonitisch in der Mitte, um den wir gruppiert sind. Am Tisch stehen Getränke, Obst und Kekse in feinem Geschirr. Eine höfliche junge Frau serviert diskret.
Haben Sie das gesehen? fragt der Techniker als wir zusammen das Gebäude verlassen. Dagegen sind wir die arme Verwandtschaft! Ich blicke ihn fragend an. Der Techniker geht in Jeans und mehreren T-Shirts übereinander einher und hat sein Haar, das ihm über den halben Rücken reicht, zu einem losen Zopf gebunden. In seiner Aufmachung ist er nicht gerade eine Stilikone des Business-Lebens. Dennoch ist ihm aufgefallen, wie gediegen das Ambiente beim Geschäftspartner war, und es hat offensichtlich Eindruck auf ihn gemacht. Wir sollten uns zumindest neues Geschirr kaufen, meint er. Das Geschirr, in dem wir unsere Gäste bewirten, ist, wie ich nun bemerke, tatsächlich in die Jahre gekommen. Wir kaufen ein neues in modernem Design, farblich abgestimmt auf das Firmenlogo.
Welcher Stil passt zu unserem Unternehmen?
Wie ein Unternehmen öffentlich auftritt, und welche Schwerpunkte es bei seinen Verhaltensnormen setzt, sollte mit seinen Produkten, seinen Dienstleistungen, seiner Kundschaft oder seiner Mission übereinstimmen. Zum öffentlichen Auftritt gehört neben dem Erscheinungsbild der Gebäude, dem Design der Büros, dem Logo, der Korrespondenz, dem Empfang, der Telefonvermittlung, der Art der Firmen-Events und so weiter auch das kollektive und das individuelle Verhalten der Mitarbeiter:innen.
Unser Unternehmen ist keines, zu dem Mahagonitische und holzgetäfelte Wände passen. Wir verstehen uns selber als innovativ und avantgardistisch und gelten mitunter als die bunten Vögel der Branche. Gleichzeitig haben wir aber auch den Ruf, verlässliche Geschäftspartner, faire Vertragspartner und pünktliche Zahler zu sein. Diese Qualitäten spiegeln sich in der Architektur und im Interieur unserer Büroräumlichkeiten wider. Das Bürohaus ist ein denkmalgeschützter Altbau, der im Eingangsbereich und in der Innenausstattung durch modernes Design besticht, das der alten Bausubstanz gut angepasst ist. Das Erscheinungsbild des Unternehmens nach außen ist stimmig.
Gastfreundschaft im Geschäftsleben
Ein schöner Brauch hierzulande ist, dass bewirtet wird, gleichgültig ob es sich um Kundschaft, Bewerber:innen oder Geschäftspartner:innen handelt. In jedem Unternehmen, das was auf sich hält, fragt man die Besucher:innen, nachdem man sie ins Sitzungszimmer geführt hat, als erstes, was sie trinken wollen, und zählt die Auswahl – Kaffee, Tee, Wasser – auf. An traditionelle Gastfreundschaft gemahnt auch die Gewohnheit, den geschäftlichen Verhandlungen ein paar Worte Smalltalk vorzuschalten, über die Wetterverhältnisse, den Anreiseweg, etwaige Schwierigkeiten, einen Parkplatz zu finden, und ähnliches. Man gibt dem Gegenüber damit ein bisschen Zeit, sich in der ungewohnten Umgebung einzurichten und signalisiert ihm/ihr, dass er/sie nicht nur in seiner oder ihrer Funktion, sondern auch als Mensch wahrgenommen wird.
Wenn man im Unternehmen anruft…
Viel öfter als Geschäftspartner:innen in unser Firmengebäude kommen, haben sie telefonischen Kontakt mit dem Unternehmen, und so ist es immens wichtig, die Erreichbarkeit der zuständigen Mitarbeiter:innen zu den Geschäftszeiten sicherzustellen. Kaum etwas schadet dem Image eines Unternehmens so sehr wie eine minutenlange Tonbandansage (während welcher der Kontakt womöglich auch noch abbricht und in einen ärgerlichen Piepston übergeht), ein wiederholtes Weiterverbinden von einem unzuständigen Kontakt zum anderen, oder die Nichteinhaltung der Zusage, innerhalb kurzer Zeit zurückzurufen.
Um zu erleben, wie es sich anhört, wenn man in meinem Unternehmen anruft, mache ich selbst hie und da eine Probe. Bei meinem letzten Anruf hörte ich die Begrüßung einer Telefonistin, die erst kürzlich zum Team gestoßen war. Ihre Wortwahl und ihr Ton gefallen mir außerordentlich gut. Sie vermitteln nicht nur freundliche Offenheit für das Anliegen des Gegenübers am anderen Ende der Leitung, sondern auch den Eindruck von Sicherheit und Kompetenz. Der leichte Akzent dieser neuen Telefondame aus einem Bundesland, dessen sprachliche Färbung in ganz Österreich geliebt wird, gab ihrer Ansage zusätzlichen Charme. Während dieser Akzent ihr ureigenes Markenzeichen bleiben wird, erheben wir ab sofort mit dem ganzen Telefonteam die Sätze, mit denen sie sich meldet, zum neuen Standard des telefonischen Außenauftritts der Firma.
Der Empfang
Eine ähnliche Bedeutung wie das telefonische Antwortverhalten hat der tatsächliche Empfang im Unternehmen. Ein ansprechender Empfangsraum und die Personen am Empfang vermitteln den berühmten ersten Eindruck, den Besucher:innen von einem Unternehmen bekommen. Aussehen und Verhalten der Empfangscrew spielen eine wichtige Rolle. Dieser sollte durchaus durch entsprechende Schulungen Rechnung getragen werden.
Die Korrespondenz
Auch die Art der schriftlichen Korrespondenz ist ein Ausdruck des Stils, dessen sich ein Unternehmen befleißigt. In jedem Unternehmen werden täglich Briefe verschickt, die vorgegebene Formulierungen enthalten. Ich habe bald nach Beginn meiner Tätigkeit in der Firma Formulierungen in der Korrespondenz, die mir altmodisch, langatmig, schwer verständlich oder sogar herablassend und autoritär vorgekommen sind, durch zeitgemäße und respektvolle Floskeln ersetzen lassen. Der Feinschliff erfolgte in einem Seminar für die Mitarbeiter:innen, an dem ich selbst auch teilgenommen habe. Die Standard-Texte wurden so gestaltet, sodass der Korrespondenzstil nun das Image der Firma widerspiegelt – nämlich seriös, doch gleichzeitig locker und die Kund:innen direkt ansprechend.
Die Bedeutung von Eigennamen
Von immenser Bedeutung ist es, Kund:innen und Geschäftspartner:innen immer mit ihrem – richtig geschriebenen – Namen anzusprechen bzw. anzuschreiben. Ein falsch geschriebener Name vermittelt immer den Eindruck von Schlamperei und fehlender Achtung für das Gegenüber. Ich persönlich habe in meinem Berufsleben Dutzende von Briefen bekommen, die an einen „Herrn Andreas …“ adressiert waren, obwohl ich eine „Frau Andrea…“ bin. Es ist sicher nachvollziehbar, dass die Absender mit solch einer Anrede bei mir nicht gerade gepunktet haben.
Es gibt ausländische Namen, aus denen man nicht auf das Geschlecht des Absenders schließen bzw. nicht erkennen kann, welcher Teil des Namens der Vor- und welcher der Nachname ist. Hier empfiehlt es sich, eine Recherche vorzunehmen um nicht in ein Fettnäpfchen zu treten – wie es Kollegen im Fall des Redakteurs einer renommierten Tageszeitung passiert ist, die ihn aufgrund seines türkischen Namens und seiner etwas höheren Stimme als Frau adressiert hatten, wobei schon ein kurzer Blick ins Internet sie sofort eines Besseren belehrt hätte. Ist eine Recherche nicht möglich, sollte man neutrale Formulierungen wählen. Weiß man das Geschlecht, kann man zum Beispiel in der Anrede den vollen Namen schreiben, also „Sehr geehrte Frau VORNAME UND NACHNAME“. Ist das Geschlecht nicht zu eruieren, dann bleibt immer noch das zwar unpersönliche, aber auf Nummer Sicher gehende „Sehr geehrter Herr/Sehr geehrte Dame“.
Gendern und das Du-Wort
Mit dem sogenannten „Gendern“, also der geschlechtsneutralen Formulierung, wie ich sie in meinen Einträgen konsequent ausführe, muss man es in der Geschäftskorrespondenz wohl nicht ganz so streng handhaben – es sei denn, man befindet sich auf einer ausdrücklichen gesellschaftspolitischen Mission. Dass man aber eine Kundin als „Kunde“ bezeichnet, eine Köchin als „Koch“, eine Ärztin als „Arzt“, oder eine Geschäftsführerin als „Geschäftsführer“ sollte im 21. Jahrhundert nicht mehr vorkommen.
In den 1970er Jahren kam ein schwedisches Möbelhaus erstmals nach Österreich und warb nicht nur mit billigen Selbstbaumöbeln, sondern auch mit den Umgangsformen im Unternehmen. Man sei generell per Du – mit den Vorgesetzten, den Mitarbeiter:innen, den Kund:innen. Das war damals etwas ganz Revolutionäres und sollte zweifellos – über die Möbel hinaus – eine neue Ära signalisieren: Weg von Dunklem, Schwerem, Ererbtem, hin zu Neuem, zu Leichtigkeit und Moderne.
Das Konzept dieses Unternehmens ist aufgegangen, weil es eine gesellschaftliche Entwicklung vorweggenommen hat, die damals gerade an ihrem Anfang stand, und weil es stimmig war. Heute wird man nicht nur in vielen hippen Innenstadtlokalen von der jugendlichen Bedienung geduzt.
In einer Anwaltskanzlei oder in einem Bankhaus wäre ein derart legerer Ton allerdings nicht angebracht. Dort tut man gut daran, auch heute, mehr als vierzig Jahre später, die Kund:innen in Anzug und Kostüm zu empfangen und mit ausgesuchter und althergebrachten, ausgesucht höflichen Umgangsformen zu bedenken.