Wieder einmal höre ich von einer langjährigen Mitarbeiterin, die an einem Montagmorgen ein Kuvert mit einem Kündigungsschreiben auf ihrem Schreibtisch vorfand. Genaugenommen war es der Entwurf einer einvernehmlichen Kündigung, auf der nur noch die Unterschrift der betroffenen Mitarbeiterin fehlte. Sie war geistesgegenwärtig und wandte sich an die Gewerkschaft. Viele andere tun dies im ersten Schock nicht und unterschreiben einfach. So oder so, die Enttäuschung ist in allen solchen Fällen riesengroß.
Kündigen ist immer schwierig
Tatsächlich bleibt es einem als Führungskraft nicht erspart, hin und wieder eine Kündigung auszusprechen. Ich kenne ausnahmslos niemanden, der/die das ohne Skrupel macht. Eine Kündigung ist immer eine Stresssituation für alle Beteiligten.
Auch ich habe schon Leute gekündigt. Einmal einen jungen Mann, der mir eine Machtprobe nach der anderen lieferte und auch nach etlichen Ermahnungen nicht aufhörte, öffentlich meine Position als Vorgesetzte in Frage zu stellen. Er machte mir anzügliche Komplimente zu meinem Aussehen, kam notorisch zu spät zu Terminen, gab, wenn ich ihn etwas fragte, respektlose Antworten. Er gab mir täglich zu verstehen, dass er meine Besetzung für einen unglücklichen Zufall hielt und nicht bereit war, mich als Chefin zu akzeptieren. Eines Tages blieb er einfach weg ohne sich krank zu melden oder um Urlaub anzusuchen. Am nächsten Tag kündigte ich ihn. Er fiel aus allen Wolken.
Er war ein junger Mann, von dem ich annehmen konnte, dass er rasch wieder einen Job findet. Ich musste mir um seine Existenz keine Sorgen machen, und hoffte für ihn, dass er etwas aus der Situation gelernt hat.
Anders lag der Fall bei einer Frau in ihren Vierzigern, die auf Wunsch eines Aufsichtsrats aufgenommen worden war. In der Verkaufsabteilung, für die sie vorgesehen war, wollte sie nicht arbeiten, weil ihr die Dienstantrittszeit zu früh am Morgen war. Auch in all den anderen Abteilungen, die sie nacheinander durchwanderte, erwies sie sich als unwillig und unfähig. Im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat, der sie gebracht hatte, kündigten wir sie recht bald. Ob sie jemals wieder einen Job gefunden hat, weiß ich nicht.
Auch im Fall eines Abteilungsleiters war die Sache für uns klar: Er hatte psychische Probleme, die sich auf seine Performance und auf sein Verhältnis zu Mitarbeiter:innen und zur Kundschaft negativ auswirkten. Da er eine Schlüsselposition bekleidete, war er in seiner Unberechenbarkeit für das Unternehmen ein Risiko. Auch von ihm mussten wir uns trennen.
Andere Personen mussten wir verabschieden, weil ihre Arbeitsleistung nicht den Erfordernissen entsprach. Während man in großen Abteilungen einzelne schwächere Mitarbeiter:innen „mitschleppen“ kann, ist dies in kleinen Organisationseinheiten den Kolleg:innen, die immer wieder einspringen müssen, auf die Dauer nicht zuzumuten.
Wie begründet man eine Kündigung?
Wie sagt man Menschen, dass man sie kündigt, weil sie zu langsam oder zu fehlerhaft arbeiten, weil sie sich sozial nicht einfügen, weil sie einfach nicht intelligent genug für den Job sind – insbesondere dann, wenn sie es selbst nicht bemerken und sich alle Mühe geben? Und wie beruhigt man sein eigenes soziales Gewissen, wenn man vermuten kann, dass die betreffende Person, wenn sie einmal gekündigt ist, nicht so leicht wieder einen Job finden wird?
Die Führungskraft ist für die Firma verantwortlich
In solchen Situationen, die mir schon mehr als eine schlaflose Nacht bereitet haben, muss ich mir vor Augen halten, dass ich als Führungskraft in erster Linie für das Wohl des ganzen Unternehmens verantwortlich bin und erst in zweiter Linie für das einzelner Mitarbeiter:innen. Krass ausgedrückt ist die Arbeitsleistung von Mitarbeiter:innen – inklusive jener der Führungskräfte – nichts anderes als ein Mittel zum Unternehmenzweck, und die Aufgabe von Führungskräften ist es, sicher zu stellen, dass das System funktioniert und möglichst wenige Schwachstellen aufweist. Passt eine Person nicht ins Gefüge, ist sie in irgendeiner Form ein Störfaktor, dann ist es im Sinne der Gesamtverantwortung, sich von ihr zu trennen.
Wie kündigt man „richtig“?
Da Mitarbeiter:innen aber nicht nur Produktionsfaktoren, sondern auch und vor allem Menschen sind, sollte eine Kündigung, wenn sie unabdingbar ist, in möglichst respektvoller Weise vollzogen werden.
Den Betroffenen soll es auch im Fall einer Kündigung möglich bleiben, ihr Gesicht und ihre Würde zu wahren. Vorgesetzte sollten im Kündigungsgespräch dennoch die wahren Gründe nennen, die zur Lösung des Dienstverhältnisses führen, auch wenn sie in der Persönlichkeit des/der Betroffenen liegen. Liegen die Gründe beim Unternehmen, wenn etwa die Auftragslage schlecht ist, sollte gesagt werden, warum gerade die eine Person gekündigt wird. Die Wahrheit ist den Menschen in solchen Situationen nicht nur zuzumuten. Sie haben ein Recht auf sie, und überdies hilft sie ihnen auf längere Sicht mehr als verschleiernde Worte, die aus falscher Rücksichtnahme oder aus Feigheit gewählt werden.
„Schlechte“ Kündigungen
Leider passiert im Zusammenhang mit Kündigungen jedoch oft ganz etwas anderes. Immer wieder hört man von Kündigungen im Krankenstand, Kündigungen per formlosem E-Mail, Kündigungen wie die eingangs geschilderte – die Interessenvertretungen der Arbeitnehmerschaft können solche Fälle ohne Ende aufzählen. Viele Vorgesetzte üben sich – meist aus Feigheit – in Respektlosigkeit und schlechtem Stil. Es ist auch nicht besonders souverän, das Aussprechen von Kündigungen an Mitarbeiter:innen der nächsten Hierarchieebene zu delegieren und sich selbst vor dieser Aufgabe drücken.
Manchmal kommt es aber noch schlimmer. Da auch fähige und loyale Mitarbeiter:innen gekündigt werden, und man sich scheut, wahre Gründe zu nennen, wird nicht selten, oft in einem psychologischen Reflex, die Schuld beim Opfer, also bei den Gekündigten, gesucht. Man nennt dies auf Neudeutsch victim blaming. Es ist eine besonders üble Form, ein Arbeitsverhältnis zu beenden.
Victim blaming – das Opfer ist schuld
Victim blaming ist nicht schwierig. Es braucht nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, dass man bei jedem von uns irgendetwas findet, das man uns vorhalten kann – und wenn es nur das Mineralwasser aus der Minibar ist, das wir verabsäumt haben, aus der Reisekostenabrechnung herauszurechnen. Manchmal gehen Vorgesetzte „vorausschauend“ vor und sammeln quasi prophylaktisch „Beweise“ für „Verfehlungen“, die man dann denjenigen, die man loswerden will, vorhalten kann. Insbesondere leitende Mitarbeiter:innen werden nicht selten Opfer dieser Praxis. Ich kannte tatsächlich einen Personalchef, der sich brüstete, eine großen Vorrat an „Verfehlungsbeweisen“ von Mitarbeiter:innen für alle Fälle in seiner Lade zu haben.
Victim blaming hat noch einen anderen Effekt, den der Überraschung bzw. Überrumpelung: Konfrontiert man Mitarbeiter:innen bei einem – oftmals kurzfristig angesetzten – Kündigungsgespräch mit ihrem angeblichen „Fehlverhalten“, geraten sie so leicht in die Defensive, setzen sich nicht zur Wehr, und unterschreiben womöglich Vereinbarungen zu ihren Ungunsten. Damit ist der Zweck der niederträchtigen Übung erfüllt: die Vorgesetzten können ihr Gewissen reinwaschen, weil die/der „Schuldige“ mit der Unterschrift die Schuld quasi eingesteht.
Wie schäbig eine solche Vorgangsweise ist, muss nicht ausdrücklich betont werden.
Kündigung auf Amerikanisch
Ich habe leider auch schon Entlassungen amerikanischen Stils beobachtet, bei denen insbesondere führende Mitarbeiter:innen nicht nur von einer Minute auf die andere und ohne jede Vorwarnung ihres Postens enthoben, sondern sogleich – nach Abnahme von Handy und anderen der Firma gehörenden Gerätschaften – auf die Straße eskortiert werden. Eine solche Vorgangsweise mag in Fällen notwendig sein, in denen ein begründeter Verdacht besteht, dass der/die Mitarbeiter:in eine betrügerische Handlung gesetzt hat und Beweismittel zu sichern sind. In den meisten Fällen ist eine solche Art von Kündigung bzw. Entlassung aber schlicht unwürdig – und dumm und ineffizient in dem Sinne, dass derartige Aktionen fast immer langjährige Prozesse vor dem Arbeitsgericht nach sich ziehen, die allen Beteiligten Geld, Nerven und Reputation kosten.
Psychologische Aspekte
Hat man einem Mitarbeiter/einer Mitarbeiterin eine Kündigung zu übermitteln, muss man als Führungskraft, so finde ich, vor sich selber nicht den kalten Sanierungsprofi spielen, sondern sollte sich ruhig eingestehen, dass einem eine sehr heikle, unangenehme und schmerzhafte Aufgabe bevorsteht. Man sollte sich auch nicht scheuen, in besonders schwierigen Fällen Beratung in Anspruch zu nehmen. Immerhin ist die Situation so, dass man einem Menschen mit einer solchen Nachricht die unmittelbare Existenzgrundlage entzieht und ihn/sie aus einer Gemeinschaft für immer ausschließt. Man katapultiert sein Gegenüber in eine psychische Ausnahmesituation. Vielleicht reagiert der/die Betroffene mit Unglauben und Verleugnung, vielleicht mit Verzweiflung, vielleicht fließen Tränen. Darauf sollte man vorbereitet sein.
Empathie und Hilfestellung bei der Jobsuche
Es gilt sensibel abzuwägen, wieviel Mitgefühl in einer solchen Situation gezeigt werden darf, ohne dass es wie Hohn daherkommt. Ein ehrliches „Es tut mir sehr leid“ schadet sicher nie. Auch etwaige Hilfestellungen, zum Beispiel Unterstützung bei der Jobsuche, können angeboten werden – sofern man sie dann auch tatsächlich leisten kann. Ich persönlich habe in solchen Situationen auch manchmal meine eigenen Brüche im Berufsleben angesprochen, um damit dem Gegenüber Mut zu machen.
Man soll sich „danach“ noch in die Augen sehen können
Als Faustregel für mein Verhalten in einem Kündigungsgespräch habe ich für mich folgendes festgelegt: Auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass ich die betroffenen Mitarbeiter:innen jemals wiedersehe, versuche ich im Prozess der Trennung so zu handeln, dass wir einander, sollte es doch noch mal zu einem Zusammentreffen kommen, ohne Groll in die Augen schauen können. Dieselbe Maxime gilt übrigens auch im Umgang mit Mitarbeiter:innen, die selbst kündigen, weil sie in einem anderen Unternehmen bessere Chancen für sich sehen. Auch ihnen ist, selbst wenn man als Chef:in persönlich ein wenig Kränkung über das „Verlassen werden“ empfindet, Fairness und professioneller Respekt zu zollen.