Frauen verfügen heute über hohe Bildung, sie sind ehrgeizig und fleißig, doch immer noch finden sie sich seltener in Führungspositionen als Männer.
Sind die Männer schuld?
Am bösen Willen einzelner Männer liegt es aber selten, wenn Frauen nur mühsam vorankommen. Im Gegenteil. Nicht nur ich habe in meinem beruflichen Fortkommen einige männliche Förderer gehabt – Professoren in der Schule oder an der Uni oder der eine oder andere Chef. Ich habe auch immer wieder beobachtet, dass männliche Vorgesetzte Frauen ermutigt und gefördert haben.
Das Haupthindernis für Frauen sind nach wie vor gesellschaftliche Machtstrukturen, Denkmuster und alltägliche, vielfach immer noch unbemerkte Diskriminierungsmechanismen.
Wir wollen uns heute mal ein paar dieser Aspekte der gesellschaftlichen Sozialisation ansehen, die sich im Verhalten von Frauen manifestieren. Damit soll auf keinen Fall suggeriert werden, dass die Frauen „selbst schuld“ sind, wenn sie beruflich nicht weiterkommen. Mitnichten! Es sollen nur ein paar hinderliche Verhaltensmechanismen ausgeleuchtet werden, die den Frauen wahrscheinlich selbst nur teilweise bewusst sind, die ihnen jedoch auf dem Karriereweg nachhaltig schaden können.
„Weibliches“ Verhalten als Karrierebremse
Typisch Frau, sagt der Kollege lächelnd, als ich unverrichteter Dinge aus dem Büro des Chefs komme. Ich wollte dem Chef eine Entscheidung abringen, habe es jedoch bleiben lassen. Ich habe dem Chef ins Gesicht geschaut, habe gesehen, wie abgeschlagen er heute ist, und habe es nicht übers Herz gebracht, ihn mit einer Sache, für die auch morgen noch Zeit ist, zusätzlich zu belasten.
Der Kommentar meines jungen Kollegen schmeichelt mir, weil er zeigt, dass er mich nicht nur als Kollegin, sondern auch als Frau sieht. Ich habe weibliche Sanftmut und Geduld an den Tag gelegt, und bin ihm und dem Chef sicher noch sympathischer geworden. Durchgesetzt habe ich mich mit meinem „weiblichen“ Verhalten allerdings nicht. Mit diesem Beispiel ist bereits ein typisches weibliches Dilemma auf den Punkt gebracht.
Werte weiblicher Sozialisation stehen in krassem Widerspruch zum Verhalten, das zu Karriereerfolg führt.
Insbesondere Frauen, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts groß geworden sind, wurden in ihrer Erziehung noch auf Bescheidenheit und Zurückhaltung getrimmt, und auf ein Berufsleben entweder in einer ausgewiesenen Frauenbranche oder aber in einer dienenden Rolle in der zweiten oder dritten Reihe vorbereitet. Aber auch heute höre ich von jungen Frauen, dass sie von ihrer Umgebung gebremst und angehalten werden, ihre Ambitionen klein zu halten und als Beruf statt Ärztin oder gar Ingenieurin lieber Arzthelferin oder Kindergärtnerin anzustreben.
Von Frauen wird auch im Arbeitsleben immer noch erwartet, dass sie viel lächeln, Geduld haben, stets für andere da sind, liebevoll über die Fehler der (männlichen) Mitmenschen hinwegsehen, gut zuhören – am besten mit leicht zur Seite geneigtem Kopf –, die Männer reden lassen, sich nicht in den Vordergrund drängen, niemals hart argumentieren oder für etwas kämpfen, stattdessen aber immer einspringen, wenn es ums Kaffeekochen oder ums Kopieren oder ums Ausmerzen der Fehler anderer geht. So sammeln Frauen Sympathiepunkte.
Karriere machen sie mit solchem Verhalten nicht.
Wir alle wissen, dass im Geschäftsleben „männliche“ Tugenden wie Ehrgeiz, Aufstiegswille, Konkurrenzorientierung und Kampfgeist gefragt sind. Abgesehen davon, dass die meisten Frauen solche Tugenden nicht gelernt haben, wird den wenigen Frauen, die dennoch ein solches „männliches“ Verhalten an den Tag legen, rasch ihre Weiblichkeit abgesprochen. Beruflicher Erfolg macht Männer attraktiver, bei Frauen bewirkt er das Gegenteil. Wen wundert es, wenn viele Frauen auch im Berufsleben immer noch versucht sind, auf die Karte der Weiblichkeit zu setzen – und sich damit selbst ein Ei zu legen?
Frauen lernen „gesundes“ Konkurrenzverhalten nicht
Historisch betrachtet befinden wir Frauen uns im Berufsleben immer noch auf fremdem Terrain. Mit dem Geschäftsleben betreten wir einen Schauplatz, dessen Spielregeln wir nicht in derselben Weise verinnerlicht haben wie unsere männlichen Kollegen, für die etwa Konkurrenz etwas Selbstverständliches und Unbelastetes ist, weil sie schon während ihres ganzen Heranwachsens bei Spiel und Sport ihre Kräfte gemessen haben. Am Spielfeld sind sie Konkurrenten und treten einander gegen das Schienbein, und nach dem Match sind sie wieder die besten Freunde und gehen miteinander auf ein Bier. Für Männer stellt ein Unternehmen nur ein weiteres Spielfeld dar, auf dem sie sich nun bewegen wie einst am Fußballplatz. Wie damals wissen sie um die Spielregeln und die Hierarchie, und haben kein Problem damit, einander anzurempeln und gleichzeitig anzuerkennen, dass es einen Trainer/Chef gibt, der das letzte Wort hat.
Frauen denken vernetzt
Frauen fällt es schwerer, zu „spielen“ und die Spiele des Jobs von ihrer Person und ihrem Leben zu trennen. Männer, so sagte mir die Frau Coach, sehen es sportlich, und sie haben für jeden ihrer Lebensbereiche kleine Kästchen im Kopf – Job, Familie, Hobbys, usw. Sie halten sich nicht damit auf, diese untereinander zu verbinden. Für Frauen ist meist alles eins, alles vernetzt, und es ist immer alles todernst. Dies ist im Sinne einer ganzheitlichen Lebensbetrachtung durchaus berechtigt und überdies auch realistisch, weil das Leben komplex ist und die Dinge miteinander im Zusammenhang stehen. Nur im Berufsleben fahren die Männer mit ihrer Denkweise – zumindest bislang – definitiv besser.
Brave Mädchen kommen nirgendwo hin
Einen weiteren Stolperstein legen sich Frauen vor die Füße, wenn sie in die Rolle des „braven Mädchens“ schlüpfen, das es vor allem den Vorgesetzten recht machen und von diesen geliebt werden will. Solche braven Mädchen arbeiten zu viel, zu leise, zu unbemerkt. Manche fragen sich darüber hinaus ständig, ob sie wohl gut genug sind, und ob ihre Leistung eh ausreicht. Um pünktlich zu liefern, übernehmen brave Mädchen zusätzlich die Arbeit all derer, die die Dinge entspannter angehen. Sie murren nicht, fordern auch für „unmögliche“ Aufgaben keine Unterstützung an, und opfern lieber ein paar Feierabende und ein Wochenende, nur damit der Chef zufrieden ist.
Ratlos sehen die braven Mädchen zu, wie ihre männlichen Kollegen Schaum schlagen indem sie Probleme schaffen oder herbeireden, um sie dann mit großem Getöse zu lösen und sich als Helden feiern lassen. Sie selbst lösen kniffliche Situationen ohne Aufhebens zu machen, und ohne dass jemand bemerkt, dass überhaupt ein Problem da war. Sie übernehmen auch unsichtbare – und damit natürlich unbezahlte – Mehrarbeit wie beispielsweise Koordinationstätigkeiten zwischen verschiedenen Teams, die für das Gelingen von Projekten unerlässlich sind, die aber meist gar nicht bemerkt werden – oder aber erst, wenn sie plötzlich niemand mehr macht.
Bei Sitzungen melden sich „brave Mädchen“, die niemals vorlaut sein wollen, nur zu Wort, wenn sie glauben, wirklich etwas Bahnbrechendes zu sagen haben, während Männer ohne Scheu mit Banalitäten auf sich aufmerksam machen. Die braven Mädchen sprechen dann oft mit zögerlicher Stimme. Sie beginnen mit einer langatmigen Einleitung, in der sie sich quasi für ihre Wortmeldung entschuldigen. Sie verwenden viele Füllwörter, formulieren Fragen statt Feststellungen, und werten das Gesagte am Ende mit einem entschuldigenden Lächeln ab. Manchmal gestikulieren bzw. fuchteln sie dazu mit den Armen herum, und wirken damit wenig überzeugend.
Die braven Mädchen wundern sich dann, dass sie jahrelang an ihrem Platz bleiben, während andere an ihnen vorbeiziehen und aufsteigen.
Das Bild dieses Archetyps einer Mitarbeiterin mag überzeichnet sein, aber ich kenne keine Frau, die nicht den einen oder anderen Aspekt des braven Mädchens in sich hat und die entsprechenden Fehler (ge)macht hat – einschließlich mir selber.
Frauen, die nichts fordern, bekommen genau das: nämlich nichts (Simone de Beauvoir)
Wie viele andere Frauen habe auch ich lange Zeit fleißig gearbeitet und keine Forderungen gestellt, sondern gewartet, bis ich „entdeckt“ werde, und mich gewundert, als es nicht geschah. Dann habe ich nicht etwa aufgezeigt, sondern war gekränkt – denn schließlich hätte der Chef (der Papa?) ja sehen müssen, wie gut ich bin, und was ich in Wirklichkeit verdienen würde.
Es war meinerseits eine klare Verkennung der Lage. Ein Schlüsselerlebnis mit einem jungen Kollegen, der mich wohlwollend auf meine Fehler aufmerksam machte, hat mich dazu gebracht, meine Haltung ändern und ein für alle Mal zu kapieren, dass ein berühmtes Bonmot von Simone de Beauvoir auch fürs Geschäftsleben gilt: Frauen, die nichts fordern, bekommen genau das, nämlich nichts.
Die „Geliebt-Werden-Wollen“-Falle
Ein großes Hindernis auf dem Weg zum beruflichen Erfolg ist die Sehnsucht, von aller Welt geliebt zu werden. Dass es in Wirklichkeit nicht möglich ist, von allen gemocht zu werden, ist eigentlich eine banale Erkenntnis, die sich jede/r vor Augen halten kann. Dennoch sind wir oft schwer getroffen, wenn uns Unfreundlichkeit oder gar Feindseligkeit entgegenschlägt.
Es empfiehlt sich dringend, diese „Liebessucht“ abzulegen, speziell, wenn es darum geht, zu bekommen, was einem zusteht. Ist man auf Harmonie bedacht, ist es oft nicht leicht, für sich selbst einzustehen. Wenn man sich dennoch zu einem klaren Standpunkt aufrafft, erlebt man oft die positive Überraschung, dass ein klares „Nein“ ohne weiteres akzeptiert wird, und keinen Liebesentzug, wohl aber mehr Respekt zur Folge hat.
Kann ich (sie) das denn überhaupt?
Geht es um die Besetzung einer höheren Position, fragen sich Frauen selbst viel zu oft, ob sie denn auch wirklich ausreichend qualifiziert sind. Und wenn man sich diese Frage nicht selbst stellt, dann raunen andere Frauen sie einem zu.
Noch nie habe ich einen Mann diese Frage stellen hören, weder in Bezug auf ihn selbst, noch über einen Kollegen, auch wenn dieser ein unmittelbarer Konkurrent war.
Selbstzweifel, die immer etwas Abwertendes an sich haben, kann man wohl nicht auf Knopfdruck auslöschen, aber man sollte es sich zumindest verkneifen, sie zu äußern. Außerdem hilft folgende Überlegung: Diejenigen, die mir – oder einer anderen Frau – das Job-Angebot gemacht haben, müssen ja wohl überzeugt davon sein, dass sie die Richtige ist. Warum um alles in der Welt sollte ich von mir selbst eine schlechtere Meinung haben als die, die den Job kennen und ihn mir anbieten?
Frauen scheuen die Macht
Frauen übernehmen viel (informelle) Verantwortung im Hintergrund, doch wenn es darum geht, eine Leitungsfunktion auch formal zu besetzen, scheuen sie oft zurück. Mit Macht wollen sie nichts zu tun haben. Macht hat für viele etwas Anrüchiges an sich.
Auch ich habe erst spät in meiner Karriere begriffen, dass Macht nichts Unanständiges ist. Als ich endlich mein jahrelanges Understatement zurückließ und anfing, mit meiner Macht bewusst umzugehen und sie auch durch Insignien nach außen zu demonstrieren, stellte ich fest, dass dies für die Menschen um mich herum nicht belastend, sondern erleichternd war. Die Umgebung erlebte mich nun als authentisch und kannte sich mit mir aus, und das tat allen Beteiligten gut.
Stolz auf den eigenen Erfolg
Eng verbunden mit der Angst vor Macht ist das Unbehagen vieler Frauen mit dem eigenen Erfolg. Insbesondere wenn man zu den sozialen Aufsteigerinnen gehört, ist beruflicher Erfolg mitunter tatsächlich etwas Zwiespältiges. Um niemanden einzuschüchtern, habe ich im privaten Umfeld jahrelang nur die Firma oder die Organisation genannt, bei der ich arbeitete, und nicht erwähnt, dass ich diese leitete – allzu oft hatte ich nämlich erlebt, dass man(n) buchstäblich von mir wegrückte, wenn man mitbekam, dass ich eine hohe Position innehatte. Macht und Erfolg sind, wie wir bereits festgestellt haben, keine Umstände, die einer Frau zu mehr Attraktivität verhelfen, ganz im Gegenteil.
Doch mich kleinmachen hat niemandem geholfen, am wenigsten mir selbst. Mittlerweile sage ich, was Sache ist, und überlasse es meiner Umgebung, damit klar zu kommen.
Rollenbilder
Die Gesellschaft, so scheint es, findet jenseits der althergebrachten Vorurteile auch immer wieder neue Mittel und Wege, es Frauen schwer zu machen. Kaum sind alte Zwänge ein bisschen aufgeweicht, und die Spielräume für Frauen größer geworden, tauchen neue Einschränkungen – um nicht zu sagen „Fesseln“ – für die Frauen auf, die sie daran hindern, befreit und unbefangen durchzustarten.
Zu den neuen Vorgaben, mit denen sich Frauen herumzuschlagen müssen, zählen der Schönheits-, der „Girlie“- oder ganze allumfassende Selbstoptimierung-Terror, der vor niemandem Halt macht. Heutzutage müssen Frauen ewig jung und sexy bleiben und in jeder Lebenslage und in jedem Alter „appetitlich“ aussehen, wie es mal ein Kollege – durchaus ernst gemeint – ausgedrückt hat. Aber Schönsein reicht auch noch nicht. Die erfolgreiche, durchtrainierte, immer adrett gestylte Chefin, sollte auch ein erfülltes Familien- und Beziehungsleben haben und alle ihre Lebensbereiche quasi „mit links“ auf die Reihe kriegen.
Mit einem Wort: das Maß, das die Gesellschaft an berufstätige Frauen anlegt, ist das Rollenbild einer Super-Woman.
Hier hilft nur sich bewusstmachen, dass die imaginären Standards, die einem die Medien vorsetzen, niemals zu erreichen sind. Man sollte sich daher auch nicht damit aufhalten, ihnen nachzujagen.
Feministische Erkenntnisse
Frauen wie Männer sollten sich mit ihren eigenen Denkmustern und Verhaltensweisen in Bezug auf die Geschlechterrollen kritisch auseinanderzusetzen. Befunde feministischer Gesellschaftsanalyse helfen dabei, die Rolle der gesellschaftlichen Sozialisation und der Werte, denen wir alle mehr oder weniger unterliegen, zu verstehen. Erst wenn das Verständnis fürs Unterschwellige wächst, und niemand mehr „beschuldigt“ werden muss, ist der Weg zu alternativem Handeln offen.
IM NÄCHSTEN BEITRAG GEHT ES UM DIE FRAGE, WAS FRAUEN IM BERUFSLEBEN VON MÄNNERN LERNEN KÖNNEN.