Viele meiner Freundschaften, eigentlich die meisten, haben in der Schule, an der Universität oder am Arbeitsplatz angefangen – sei es im selben Unternehmen, in derselben Branche oder bei einem temporären Projekt, an dem man mitgearbeitet hat. Es ist dies nicht wirklich verwunderlich, denn die meisten dieser Menschen sind in derselben beruflichen „Szene“ gelandet wie ich, weil wir bei der Wahl unseres Berufes unseren persönlichen Interessen und Neigungen gefolgt sind. So etwas verbindet, auch wenn der unmittelbare berufliche Kontext, etwa der Tätigkeit in derselben Firma, aufhört zu bestehen.

Viele Freundschaften entstehen am Arbeitsplatz

Doch auch Menschen, die zufällig in eine Branche geraten, schließen mit Kolleginnen oder Kollegen Freundschaften fürs Leben, insbesondere, wenn man einander in jungen Jahren kennenlernt. Ich weiß von jahrzehntelangen Freundschaften unter ehemaligen Kolleg:innen, die sich sogar über Kontinente hinweg erhalten haben.

Breites Spektrum von Beziehungen im Arbeitsleben

In meinem langen Berufsleben habe ich das gesamte Spektrum an Beziehungsformen, wie sie im Geschäftsleben vorkommen, beobachten können. An einem Ende dieses Spektrums stehen die Konkurrenzsituationen mit Misstrauen, Machtkämpfen, ständiger Alarmbereitschaft und Situationen, in denen sich Arbeits“kolleg:innen“, aus welchen Gründen immer, spinnefeind und stets darauf aus sind, einander größtmöglich zu schaden. Am anderen Ende der Skala habe ich Beziehungen zwischen Kolleg:innen oder Geschäftspartner:innen erlebt, die von gegenseitiger Unterstützung und Solidarität geprägt waren, und in denen persönliche Loyalität auch dann Vorrang hatte, wenn es kurzfristig einen beruflichen Vorteil kostete. Zwischen diesen beiden Extremen fanden sich Beziehungen in allen möglichen Abstufungen und jeder nur denkbaren Art.

Wer ist mit wem befreundet?

In meinem neuen Unternehmen bemerke ich sehr bald, welche Mitarbeiterinnen sich nahestehen. Da sind zum Beispiel die beiden Techniker, die täglich miteinander Mittagessen gehen. Zwei Mitarbeiterinnen aus der Nachbarabteilung sind, wie ich erfahre, nicht nur Kolleginnen sondern auch Nachbarinnen. Die eine hat die andere in die Firma gebracht. Sie kommen aus demselben Dort und sind seit Jahrzehnten miteinander befreundet. Ich erfahre auch von einer Runde von fünf Leuten, die regelmäßig nach Feierabend miteinander auf ein Bier gehen, sowie von einem Amateurfußballverein, wo einige unserer jungen Mitarbeiter einmal in der Woche miteinander kicken.

Ich behalte das Wissen um die privaten Verbindungen im Hinterkopf und kann es bei Bedarf nutzen. So werde ich mich beispielsweise hüten, einem der Fußballspieler etwas Firmenspezifisches anzuvertrauen, das andere Mitglieder dieses Kickervereins nicht erfahren sollen. Andererseits kann ich Botschaften, die ich nicht offen verkünden will, gezielt auf die Reise schicken und mir dabei sicher sein, dass sie an den richtigen Adressen landen. Einem der beiden Techniker habe ich eines Tages scheinbar en passant gesagt, dass ich die Arbeit seines Kollegen sehr schätze. Als der Betreffende, ein an sich eher schwieriger Mensch, plötzlich aufgeblüht ist und noch motivierter war als zuvor, wusste ich, dass meine Worte Ziel und Zweck erreicht hatten. 

Freundschaften am Arbeitsplatz: trotz allem ein zweischneidiges Schwert

Freundschaften an dem Ort, an dem man den größten Teil des Tages verbringt, sind eine großartige Sache. Gibt es in der Arbeit Freund:innen, geht man gerne ins Büro oder in die Werkstatt, fühlt sich wohl und aufgehoben, kann seine Energie für die Arbeit einsetzen und braucht sie nicht darauf verwenden, wachsam zu bleiben oder gar Angriffe abzuwehren.

Dennoch sollte man sich dessen bewusst bleiben, dass Freundschaften am Arbeitsplatz eine zweischneidige Sache sind. In jungen Jahren, wenn Kolleginnen einander brühwarm ihre Liebesabenteuer erzählen oder direkt von der Party ins Büro kommen und einander dabei helfen, den Arbeitstag irgendwie zu überleben, ist es noch einfach.

Wenn Freund:innen zu Konkurrent:innen werden

Doch sobald beruflicher Aufstieg ansteht, können aus geliebten und geschätzten Kolleg:innen Konkurrent:innen werden. Von den zwei Kolleginnen, die sich um eine Führungsposition bewerben, wird nur eine erfolgreich sein, und die ist dann plötzlich die Vorgesetzte der anderen. Das mag manchmal gut gehen. In vielen Fällen werden aber in so einem Fall Enttäuschung und Groll Einzug halten und mitunter aus der ehemaligen Freundschaft eine verbissene Feindschaft machen.

Freundschaft zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter:innen

Zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter:innen kann – so behaupte ich – überhaupt nur dann eine Freundschaft bestehen, wenn diese aus irgendwelchen Gründen über dem geschäftlichen Interesse steht. Das wird naturgemäß nur ganz selten der Fall sein. Im Normalfall steht das strukturelle Machtgefälle in der Firma einer echten Freundschaft immer entgegen.

Allein die Tatsache, dass man als Vorgesetzte Mitarbeiter:innen, auch wenn man mit ihnen „befreundet“ ist, kündigen könnte, während sie diese Macht umgekehrt nicht haben, wirft ein deutliches Licht auf die Machtverhältnisse. Aber auch wenn es nicht zum Extremfall einer Kündigung kommt, bestimmt die Führungskraft, was Mitarbeiterinnen zu tun haben. Sie kann die Mitarbeiterin, auch wenn sie eine Freundin ist, in eine andere Abteilung versetzen, kann ihr Urlaube oder Gehaltserhöhungen genehmigen oder auch nicht. Sie kann die Mitarbeiterin, auch wenn sie gerade mit ihr „freundschaftlich“ auf einen Kaffee war, kritisieren oder zurechtweisen, was umgekehrt nicht geht.

Ein No-Go für Vorgesetzte: „Ausweinen“ bei Mitarbeiter:innen

Als Vorgesetzte muss man immer wieder Informationen, die das Unternehmen betreffen, für sich behalten und darf sie nicht mit den Mitarbeiter:innen teilen – meistens auch zu deren Schutz. Als Vorgesetzte kann ich mich auch nicht bei meinen Mitarbeiter:innen „ausweinen“ und darf schon gar nicht erwarten, dass sie mich trösten oder beraten, wenn ich ein Problem mit meinen Vorstandskollegen oder mit dem Aufsichtsrat habe. Tue ich so etwas, bringe ich meine Mitarbeiter:innen, die mir ja gar nicht wirklich helfen können, in arge Verlegenheit. Und ich schwäche meine eigene Position.

Auch daran zeigt sich, dass Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter:innen von ihrem Wesen her asymmetrisch ist und sich nur bedingt als Basis für eine Freundschaft eignet.

Freund:innen in die Firma holen

Ich habe langjährige Freundschaften zerbrechen sehen, wenn eine Kollegin ihre Freundin, die gerade auf Arbeitssuche war, in die Firma gebracht und in ihrer Abteilung aufgenommen hat. Dort war die Abteilungsleiterin plötzlich nicht mehr nur die Freundin, sondern auch die Chefin, die Anweisungen gibt und Anforderungen stellt. In einem Fall kündigte die herein gebrachte Freundin nach wenigen Monaten, weil sie die – durchaus berechtigte – Kritik ihrer Chefin/Freundin an ihrer Arbeit nicht ertragen konnte. Ein andermal empfand die Mitarbeiterin, als sie erkrankt war, die besorgte Nachfrage ihrer Freundin/Chefin plötzlich als Druck, so bald wie möglich wieder in die Arbeit zu kommen, kündigte ihr die Freundschaft auf und ließ sich in eine andere Abteilung versetzen. Wie viel Kränkung so etwas auf beiden Seiten verursacht, kann man sich leicht vorstellen.

In einem krassen Fall habe ich sogar erlebt, dass eine Familie an einem Arbeitsverhältnis, das in guter Absicht etabliert worden war, zerbrochen ist. Die Abteilungsleiterin hatte ihren Neffen in die Firma geholt, und war kurz darauf – unter fragwürdigen Umständen – selbst gekündigt worden. Der neue Abteilungsleiter verlangte nun absolute Loyalität von den verbliebenen Mitarbeiter:innen, auch von dem Neffen, und erwartete die Preisgabe vertraulicher Informationen über die Vorgängerin. Der Neffe, der seinen Arbeitsplatz brauchte, beteiligte sich wie die meisten anderen an der Diffamierung seiner Tante. Der Riss, der daraufhin durch die Familie der Beiden ging, konnte auch nach Jahren nicht wieder gekittet werden.

Manchmal meint jemand, der einen Freund in die Firma bringt, dass dieser ihm nun auf ewig etwas schulde und fordert „Freundschaftsdienste“ ein, die mit dem Job nichts zu tun haben. Auch passiert es, dass man jemanden, mit denen man lange befreundet war, von einer ganz anderen Seite kennenlernt, sobald man es beruflich mit ihm zu tun bekommt. Da staunt man dann beispielsweise über Kontrollversuche, die der Freund/die Freundin plötzlich unternimmt, die das bisherige Verhältnis, das man zueinander hatte, auf den Kopf stellen, und den weiteren vertrauens- und respektvollen Umgang unmöglich machen. Oder es kommen Neid, Missgunst oder Konkurrenzangst in einem ungeahnten Ausmaß zum Vorschein, die den Freund, die Freundin plötzlich in einem anderen Licht zeigen und unerwartet deren schwaches Ego offenlegen, das man vorher nicht bemerkt hat.

Wenn du mit einem Freund Geschäfte machst, verlierst du meistens entweder das Geschäft oder den Freund, heißt es daher nicht zu Unrecht in einem Sprichwort, und tatsächlich sollte man es sich hundertfach überlegen, bevor man eine Freundin, den arbeitslosen Sohn eines befreundeten Ehepaars oder gar einen Verwandten bei sich im Unternehmen einstellt. Es sind dadurch nicht nur, wie an den Beispielen gezeigt, Freundschaften gefährdet. Es kann auch Unruhe in die Firma bringen, wenn allen bekannt ist, dass Herr A. oder Frau B. mit dem Chef auch privaten Umgang pflegt. Frau A. und Herr B. werden in so einem Fall wohl mit viel Misstrauen seitens der Kollegenschaft zu kämpfen haben und im Unternehmen auf eine Außenseiterrolle beschränkt bleiben.

Geschäftsfreundschaften zum gegenseitigen Nutzen

Es gibt dann wohl noch eine andere Dimension von Freundschaft im Geschäftsleben, die in Ordnung ist, auch wenn man sie nicht 1:1 ins Privatleben übertragen kann. Es ist jene „Geschäftsfreundschaft“, die vorrangig auf gegenseitigem Nutzen beruht. Ich war einmal sehr enttäuscht, als bei einer Geschäftspartnerin, mit der ich mich oft privat ausgetauscht, viele Kulturveranstaltungen besucht und sogar gemeinsame Reisen unternommen hatte, zutage trat, dass es ihr in erster Linie um die Geschäfte ging, die sie durch meine Vermittlung an Land ziehen konnte. Das war naiv von mir, denn was spricht dagegen, das Nützliche (nämlich die Geschäfte) mit dem Angenehmen (Kunst und Reisen) zu verbinden? Gar nichts. Und eine unbestreitbare Tatsache ist, dass man lieber Geschäfte mit Menschen macht, die man kennt und sympathisch findet, und denen man aus langjähriger Erfahrung im Rahmen des Geschäftlichen vertrauen kann.

„Freundschaften“, die er Funktion, nicht der Person gelten

Erfolgreiche Menschen haben viele Freund:innen – und sollten sich immer dessen bewusst sein, dass die „Freundschaft“ in den meisten Fällen ihrer Funktion gilt und nicht ihrer Person.

Männer kommen mit „Freundschaften“ am Arbeitsplatz besser zurecht

Im Spannungsfeld zwischen Freundschaft und beruflicher Hierarchie finden sich, so habe ich den Eindruck, Männer tendenziell besser zurecht als Frauen. Geschäftsfreunde spielen miteinander Tennis, zelebrieren gemeinsame Saunaabende und sitzen stundenlang zusammen im Wirtshaus ohne Persönliches oder gar Intimes miteinander zu teilen. Frauen hingegen haben hohe Ansprüche an Freundschaften und sind dann leichter vor den Kopf gestoßen, wenn klar wird, dass das geschäftliche Interesse auf jeden Fall Vorrang hat.

Sich seiner Rolle bewusst sein

Das Wichtigsten in Beziehungen mit Vorgesetzten, Mitarbeiter:innen und Kolleg:innen ist es, sich der Rolle bewusst zu sein, die man in der jeweiligen Konstellation einnimmt, und gemäß dieser Rolle zu handeln.  

Ein von mir sehr geschätzter Chef hat dies, als ich ein Angebot einer anderen Firma bekam, zum Ausdruck gebracht, indem er zu mir sagte: „Als Vorgesetzter möchte ich dich auf keinen Fall gehen lassen, aber als Freund rate ich dir, dieses Angebot, das nur einmal im Leben kommt, lieber heute als morgen anzunehmen.“

Müßig zu erwähnen, dass dieser ehemalige Chef heute, da er längst nicht mehr mein Chef ist, zu meinem engsten Freundeskreis gehört.