Immer wieder finden geschäftliche Besprechungen in Lokalen – Kaffeehäusern oder Restaurants – statt. Eine Leserin fragt: Wer übernimmt in solchen Fällen die Rechnung?
Nun, ich würde sagen, das hängt von den Umständen ab. Werfen wir zunächst einen Blick auf den kulturellen Hintergrund:
Die „Einladungskultur“
Grundsätzlich herrscht in Österreich sowohl im privaten wie auch im geschäftlichen Umgang eine ausgeprägte „Einladungskultur“. „Lass mal, ich lad‘ dich ein“, ist oft zu hören, wenn zwei Leute gleichzeitig im Kaffeehaus ihre Geldbörse zücken. Sich gegenseitig einzuladen ist eine sympathische Tradition, und die Betonung dabei liegt ganz klar auf „gegenseitig“.
Der Mensch strebt nach Balance
Wird im privaten Leben unter Freund:innen oder Kolleg:innen abwechselnd bezahlt, so führt dies auf längere Sicht zu einer ausgeglichenen Bilanz. Irgendwie weiß stets jede/r in der Gruppe, wer gerade mit dem Zahlen an der Reihe ist. Für gewöhnlich halten sich auch alle an die Reihenfolge. Sie ist wie ein ungeschriebenes Gesetz, und es ist tatsächlich ein erstaunliches Phänomen im menschlichen Zusammenleben, wie genau die Menschen wissen (oder aber fühlen), wer gerade in wessen Schuld steht, und wo ein Ungleichgewicht herrscht – und dies nicht nur in Bezug auf Geld.
Spüren Sie mal in sich hinein, und sie werden es an sich selbst feststellen!
Das Miteinander: ein ständiger Tauschhandel?
So gesehen findet das menschliche Miteinander bis zu einem gewissen Grad auf einem unsichtbaren „Marktplatz“ statt, wo ständig Tauschprozesse stattfinden und die Teilnehmer:innen bewusst oder unbewusst immer wieder nach einem Gleichgewicht von Geben und Nehmen streben.
Wenn wir nun konkrete Situationen des Geschäftslebens erörtern, behalten wir diese Tatsachen im Hinterkopf.
Der “Papa” zahlt immer
Die Einladungstradition in unserem Kulturkreis hat mehrere ungeschriebene Gesetze, und eines davon betrifft hierarchische Verhältnisse. Mein Vater oder meine Onkels hätten sich niemals von uns Jungen einladen lassen. Für sie – und auch für uns – war es immer selbstverständlich, dass sie im Restaurant die Rechnung übernahmen. Die genannten Herren mögen aus einer Generation stammen, in der die Altershierarchie noch eine größere Rolle gespielt hat als dies heute der Fall ist. Ich behaupte aber, dass es in den meisten Köpfen nach wie vor verankert ist, dass „der Papa zahlt“. Oder – vielleicht als Konzession an die neuen Zeiten – auch mal die Mama, aber jedenfalls jemand, der oder die an der Spitze einer bestimmten, in diesem Fall der Alters-Hierarchie, steht.
So ist dann auch meistens die Erwartungslage, wenn eine Führungskraft ihre Mitarbeiter:innen einlädt. Verlegt der Chef/die Chefin eine geschäftliche Besprechung in ein Lokal, können die Mitarbeiter:innen zu Recht davon ausgehen, dass die Rechnung vom Chef/von der Chefin oder jedenfalls der Firma übernommen wird – zumal es den Mitarbeiter:innen ja gar nicht möglich war, den Ort der Besprechung mitzubestimmen. Hier sind die hierarchischen Verhältnisse klar und werden durch das Zahlen nur bestätigt, nicht aber neu konstruiert. Somit hat niemand ein Problem damit. Alle finden es in Ordnung.
Für andere Bezahlen bedeutet Stärke und Macht
Ein hierarchisches Gefälle anderer Art besteht, wenn sich eine Führungskraft, die über Aufträge entscheidet, mit (potenziellen) Auftragnehmer:innen im Café oder zum Essen trifft. Auch in solchen Fällen sollten immer die hierarchisch Stärkeren, und das sind natürlich die Auftraggeber:innen, die Rechnung übernehmen. Ich habe das immer so praktiziert, und es wurde auch stets anstandslos akzeptiert, auch von Männern.
Im Fall hierarchischer Verhältnisse, die bereits bestehen, ist es also für alle Beteiligten in Ordnung, wenn die Hierarchie auch im Zahlverhalten zum Ausdruck kommt. Es zahlt immer der (und selten die), die von allen Beteiligten als die Mächtigsten gesehen wird. (Auch dies ist eine Art „Tauschgeschäft“. Die Währung der Schwächeren ist Gefolgschaft bzw. die Anerkennung der Machtverhältnisse.)
Die Geschlechterdimension
Anders verhält es sich, wenn, wie ich es nur allzu oft erlebe, männliche Geschäftspartner, die wie ich ein Spesenkonto und eine Firmenkreditkarte haben, darauf bestehen, den „Kavalier“ zu spielen, und es mir als formal gleichrangige Kollegin nicht „erlauben“ wollen, die Rechnung eines Geschäftsessens zu übernehmen. Sie erlauben es mir als Frau nicht, und hier kommt ganz klar ein traditionelles Geschlechterrollenverständnis zum Tragen. Vielleicht ist es den – persönlich meist sehr netten – Kollegen gar nicht bewusst, dass sie damit nicht nur freundlich sind, sondern mir im Subtext den untergeordneten Part zuweisen. In dem Moment, in dem der Mann zahlt, ist er der Mächtigere, und mir bleibt dann nur noch, mich wie ein kleines Mädchen artig zu bedanken, und mein schales Gefühl wegzustecken. Je öfter dies geschieht, desto schlimmer, denn mit jedem Mal wird das Ungleichgewicht, das alle zumindest unterbewusst wahrnehmen, verfestigt.
Auf dem Weg in die Korruption
Das Bezahlen bei geschäftlichen Treffen in Lokalen hat natürlich noch weitere – in letzter Zeit viel diskutierte – Dimensionen. Da, wie wir oben festgehalten haben, der Mensch nach Ausgleich und Gleichgewicht strebt, schaffen Gefälligkeiten und Geschenke, bewusst oder unbewusst, Verpflichtungen und Abhängigkeiten. Von dort ist der Weg in die Korruption nicht mehr weit.
Nicht umsonst gibt es heutzutage weitreichende Compliance-Regeln. In den letzten Jahren sind mir Mitarbeiter:innen öffentlicher Stellen begegnet, die sich nicht mal mehr auf einen Espresso einladen ließen. Dies kam für mich anfangs durchaus ungewohnt und auch unfreundlich rüber, doch inzwischen habe ich dafür Verständnis.
Wer zahlt, wenn sich Kolleg:innen treffen?
Wie ist es aber, wenn gleichrangige Kolleg:innen, die kein Spesenkonto haben, eine geschäftliche Besprechung in ein Café oder ein Restaurant verlegen? Kolleg:innen, die weder Aufträge noch sonstige Gefälligkeiten voneinander erwarten, sondern für ihre Besprechungen nur ein angenehmes Ambiente suchen? In diesem Fall ist es, wie ich meine, am einfachsten so zu regeln: Jede und jeder zahlt für sich selbst.
Vielleicht wäre ein solches Arrangement auch für die meisten anderen Konstellationen im Zusammenhang mit Geschäftlichem am besten?
Darf man trotzdem noch freundlich sein?
Spielraum zur Freundlichkeit besteht ja trotzdem noch. Als ich noch keine Führungsposition innehatte, bin ich mit einem Kollegen täglich zum Mittagessen in ein Lokal gegangen. Der Regelmäßigkeit unseres gemeinsamen Mittagstisches Rechnung tragend haben wir bald angefangen, abwechselnd die Rechnung zu übernehmen. Dass dies jedoch unserer freundschaftlichen und nicht unserer geschäftlichen Beziehung geschuldet war, zeigte sich immer dann, wenn Dritte dazu kamen: dann zahlten auch wir stillschweigend wieder jede/r für sich selbst.
Die einfache Frage nach dem „Wer zahlt?“ spannt also ein recht komplexes Feld auf, in dem man, sofern es keine klaren Verhaltensregeln gibt, wie überall im Business-Alltag ständig Aufmerksamkeit und Fingerspitzengefühl benötigt.
Tipp der Mentorin:
Ich persönlich überlege mir vor jedem Treffen, bei dem die „Zahlungsverhältnisse“ nicht klar sind, vorab, wie ich es selbst am liebsten haben will. Lade ich ein? Lasse ich mich einladen? Oder plädiere ich dafür, dass jede/r für sich selbst zahlt? Ich finde es entlastend, im Vorhinein festzulegen was ich zu tun gedenke. Meiner Erfahrung nach lässt sich das Gegenüber meist ohne große Widerworte in das gewählte Arrangement „mitnehmen“.